Kant: AA VIII, Bestimmung des Begriffs einer ... , Seite 098

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Wenn ich aber gleich aus zufälligen Eindrücken entspringende und      
  02 dennoch erblich werdende Charaktere einräumen wollte: so würde es doch      
  03 unmöglich sein, dadurch zu erklären, wie jene vier Farbenunterschiede unter      
  04 allen anerbenden die einzigen sind, die unausbleiblich anarten. Was      
  05 kann anders die Ursache hievon sein, als daß sie in den Keimen des uns      
  06 unbekannten ursprünglichen Stammes der Menschengattung und zwar als      
  07 solche Naturanlagen gelegen haben müssen, die zur Erhaltung der Gattung      
  08 wenigstens in der ersten Epoche ihrer Fortpflanzung nothwendig gehörten      
  09 und daher in den folgenden Zeugungen unausbleiblich vorkommen      
  10 mußten?      
           
  11 Wir werden also gedrungen anzunehmen: daß es einmal verschiedene      
  12 Stämme von Menschen gegeben habe, ungefähr in den Wohnsitzen,      
  13 worin wir sie jetzt antreffen, die, damit sich die Gattung erhielte,      
  14 von der Natur ihren verschiedenen Weltstrichen genau angemessen, mithin      
  15 auch verschiedentlich organisirt waren; wovon die viererlei Hautfarbe das      
  16 äußere Kennzeichen ist. Diese wird nun einem jeden Stamme nicht allein      
  17 in seinem Wohnsitze nothwendig anerben, sondern, wenn sich die Menschengattung      
  18 schon genugsam gestärkt hat (es sei, daß nur nach und nach die      
  19 völlige Entwickelung zu Stande gekommen, oder durch allmähligen Gebrauch      
  20 der Vernunft die Kunst der Natur hat Beihülfe leisten können),      
  21 sich auch in jedem anderen Erdstriche in allen Zeugungen eben derselben      
  22 Klasse unvermindert erhalten. Denn dieser Charakter hängt der Zeugungskraft      
  23 nothwendig an, weil er zur Erhaltung der Art erforderlich war.      
  24 Wären diese Stämme aber ursprünglich, so ließe es sich gar nicht erklären      
  25 und begreifen, warum nun in der wechselseitigen Vermischung derselben      
  26 unter einander der Charakter ihrer Verschiedenheit gerade unausbleiblich      
  27 anarte, wie es doch wirklich geschieht. Denn die Natur hat      
  28 einem jeden Stamm seinen Charakter ursprünglich in Beziehung auf sein      
  29 Klima und zur Angemessenheit mit demselben gegeben. Die Organisation      
  30 des einen hat also einen ganz anderen Zweck, als die des anderen; und da      
  31 dem ungeachtet die Zeugungskräfte beider selbst in diesem Punkte ihrer      
  32 charakteristischen Verschiedenheit so zusammenpassen sollten, daß daraus      
  33 ein Mittelschlag nicht bloß entspringen könne, sondern sogar unausbleiblich      
  34 erfolgen müsse: das läßt sich bei der Verschiedenheit ursprünglicher      
  35 Stämme gar nicht begreifen. Nur alsdann, wenn man annimmt, daß in      
  36 den Keimen eines einzigen ersten Stammes die Anlagen zu aller      
  37 dieser klassischen Verschiedenheit nothwendig haben liegen müssen, damit      
           
     

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