Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 209

   
         
 

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  01 Einrichtungen in Rücksicht auf bürgerliche Geschäfte, so kann sie    
  02 die gesetzliche oder bürgerliche Unmündigkeit genannt werden.    
         
  03 Kinder sind natürlicherweise unmündig und ihre Eltern ihre natürlichen    
  04 Vormünder. Das Weib in jedem Alter wird für bürgerlich=unmündig    
  05 erklärt; der Ehemann ist ihr natürlicher Curator. Wenn sie aber    
  06 mit ihm in getheilten Gütern lebt, ist es ein Anderer. - Denn obgleich    
  07 das Weib nach der Natur ihres Geschlechts Mundwerks genug hat, sich    
  08 und ihren Mann, wenn es aufs Sprechen ankommt, auch vor Gericht    
  09 (was das Mein und Dein betrifft) zu vertreten, mithin dem Buchstaben    
  10 nach gar für übermündig erklärt werden könnte, so können die Frauen    
  11 doch, so wenig es ihrem Geschlecht zusteht in den Krieg zu ziehen, eben so    
  12 wenig ihre Rechte persönlich vertheidigen und staatsbürgerliche Geschäfte    
  13 für sich selbst, sondern nur vermittelst eines Stellvertreters treiben, und    
  14 diese gesetzliche Unmündigkeit in Ansehung öffentlicher Verhandlungen    
  15 macht sie in Ansehung der häuslichen Wohlfahrt nur desto vermögender:    
  16 weil hier das Recht des Schwächeren eintritt, welches zu achten und    
  17 zu vertheidigen, sich das männliche Geschlecht durch seine Natur schon    
  18 berufen fühlt.    
         
  19 Aber sich selbst unmündig zu machen, so herabwürdigend es auch    
  20 sein mag, ist doch sehr bequem, und natürlicherweise kann es nicht an    
  21 Häuptern fehlen, die diese Lenksamkeit des großen Haufens (weil er von    
  22 selbst sich schwerlich vereinigt) zu benutzen und die Gefahr, sich ohne Leitung    
  23 eines Anderen seines eigenen Verstandes zu bedienen, als sehr groß, ja    
  24 als tödtlich vorzustellen wissen werden. Staatsoberhäupter nennen sich    
  25 Landesväter, weil sie es besser als ihre Unterthanen verstehen, wie    
  26 diese glücklich zu machen sind; das Volk aber ist seines eigenen Besten    
  27 wegen zu einer beständigen Unmündigeit verurtheilt, und wenn Adam    
  28 Smith von jenen ungebührlicherweise sagt: sie wären selbst ohne Ausnahme    
  29 unter allen die größten Verschwender, so wird er doch durch    
  30 die in manchen Ländern ergangenen (weisen!) Aufwandgesetze kräftig    
  31 widerlegt.    
         
  32 Der Klerus hält den Laiker strenge und beständig in seiner Unmündigkeit.    
  33 Das Volk hat keine Stimme und kein Urtheil in Ansehung    
  34 des Weges, den es zum Himmelreich zu nehmen hat. Es bedarf nicht    
  35 eigener Augen des Menschen, um dahin zu gelangen; man wird ihn schon    
  36 leiten, und wenn ihm gleich heilige Schriften in die Hände gegeben werden,    
  37 um mit eigenen Augen zu sehen, so wird er doch zugleich von seinen    
         
     

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