Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 191

   
         
 

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  01

Von dem Bezeichnungsvermögen.

[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 159)]    
  02

( Facultas signatrix .)

   
         
         
  03 § 38. Das Vermögen der Erkenntniß des Gegenwärtigen als Mittel    
  04 der Verknüpfung der Vorstellung des Vorhergesehenen mit der des Vergangenen    
  05 ist das Bezeichnungsvermögen. - Die Handlung des Gemüths    
  06 diese Verknüpfung zu bewirken ist die Bezeichnung ( signatio ),    
  07 die auch das Signaliren genannt wird, von der nun der größere Grad    
  08 die Auszeichnung genannt wird.    
         
  09 Gestalten der Dinge (Anschauungen), so fern sie nur zu Mitteln der    
  10 Vorstellung durch Begriffe dienen, sind Symbole, und das Erkenntniß    
  11 durch dieselbe heißt symbolisch oder figürlich ( speciosa ). - Charaktere    
  12 sind noch nicht Symbole: denn sie können auch blos mittelbare (indirecte)    
  13 Zeichen sein, die an sich nichts bedeuten, sondern nur durch Beigesellung    
  14 auf Anschauungen und durch diese auf Begriffe führen; daher das symbolische    
  15 Erkenntniß nicht der intuitiven, sondern der discursiven    
  16 entgegengesetzt werden muß, in welcher letzteren das Zeichen (Charakter)    
  17 den Begriff nur als Wächter ( custos ) begleitet, um ihn gelegentlich zu    
  18 reproduciren. Das symbolische Erkenntniß ist also nicht der intuitiven    
  19 (durch sinnliche Anschauung), sondern der intellectuellen (durch Begriffe)    
  20 entgegengesetzt. Symbole sind blos Mittel des Verstandes, aber nur indirect    
  21 durch eine Analogie mit gewissen Anschauungen, auf welche der    
  22 Begriff desselben angewandt werden kann, um ihm durch Darstellung eines    
  23 Gegenstandes Bedeutung zu verschaffen.    
         
  24 Wer sich immer nur symbolisch ausdrücken kann, hat noch wenig    
  25 Begriffe des Verstandes, und das so oft Bewunderte der lebhaften Darstellung,    
  26 welche die Wilden (bisweilen auch die vermeinten Weisen in    
  27 einem noch rohen Volk) in ihren Reden hören lassen, ist nichts als Armuth    
  28 an Begriffen und daher auch an Wörtern, sie auszudrücken; z. B.    
  29 wenn der amerikanische Wilde sagt: "Wir wollen die Streitaxt begraben",    
  30 so heißt das so viel als: Wir wollen Friede machen, und in der That    
  31 haben die alten Gesänge vom Homer an bis zum Ossian, oder von einem    
  32 Orpheus bis zu den Propheten das Glänzende ihres Vortrags blos dem    
  33 Mangel an Mitteln, ihre Begriffe auszudrücken, zu verdanken.    
         
  34 Die wirklichen, den Sinnen vorliegenden Welterscheinungen (mit    
  35 Schwedenborg) für bloßes Symbol einer im Rückhalt verborgenen    
  36 intelligibelen Welt ausgeben, ist Schwärmerei. Aber in den Darstellungen    
         
     

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