Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 055

   
         
 

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  01 übernatürlich ist, als in welchem Falle die unmittelbare Ursache derselben    
  02 allein der Geist (Gottes) sein würde.- Die mystische Auflösung    
  03 jener Aufgabe theilt nun die Gläubigen in zwei secten des Gefühls    
  04 übernatürlicher Einflüsse: die eine, wo das Gefühl als von herzzerschmelzender    
  05 (zerknirschender), die andere, wo es von herzzerschmelzender    
  06 (in die selige Gemeinschaft mit Gott sich auflösender) Art sein müsse, so    
  07 daß die Auflösung des Problems (aus bösen Menschen gute zu machen)    
  08 von zwei entgegengesetzten Standpunkten ausgeht ("wo das Wollen zwar    
  09 gut ist, aber das Vollbringen mangelt"). In der einen Secte kommt es    
  10 nämlich nur darauf an, von der Herrschaft des Bösen in sich los zu kommen,    
  11 worauf dann das gute Princip sich von selbst einfinden würde: in    
  12 der andern, das gute Princip in seine Gesinnung aufzunehmen, worauf    
  13 vermittelst eines übernatürlichen Einflusses das Böse für sich keinen Platz    
  14 mehr finden und das Gute allein herrschend sein würde.    
         
  15 Die Idee von einer moralischen, aber nur durch übernatürlichen Einfluß    
  16 möglichen Metamorphose des Menschen mag wohl schon längst in    
  17 den Köpfen der Gläubigen rumort haben: sie ist aber in neueren Zeiten    
  18 allererst recht zur Sprache gekommen und hat den Spener=Franckischen    
  19 und den Mährisch=Zinzendorfschen Sectenunterschied (den    
  20 Pietism und Moravianism) in der Bekehrungslehre hervorgebracht.    
         
  21 Nach der ersteren Hypothese geschieht die Scheidung des Guten vom    
  22 Bösen(womit die menschliche Natur amalgamirt ist) durch eine übernatürliche    
  23 Operation, die Zerknirschung und Zermalmung des Herzens in der    
  24 Buße, als einem nahe an Verzweiflung grenzenden, aber doch auch nur    
  25 durch den Einfluß eines himmlischen Geistes in seinem nöthigen Grade    
  26 erreichbaren Gram ( maeror animi ), um welchen der Mensch selbst bitten    
  27 müsse, indem er sich selbst darüber grämt, daß er sich nicht genug gräme    
  28 (mithin das Leidsein ihm doch nicht so ganz von Herzen gehen kann).    
  29 Diese "Höllenfahrt des Selbsterkenntnisses bahnt nun, wie der sel. Hamann    
  30 sagt, den Weg zur Vergötterung". Nämlich nachdem diese Glut    
  31 der Buße ihre größte Höhe erreicht hat, geschehe der Durchbruch, und    
  32 der Regulus des Wiedergebornen glänze unter den Schlacken, die ihn    
  33 zwar umgeben, aber nicht verunreinigen, tüchtig zu dem Gott wohlgefälligen    
  34 Gebrauch in einem guten Lebenswandel.- Diese radicale Veränderung    
  35 fängt also mit einem Wunder an und endigt mit dem, was man    
  36 sonst als natürlich anzusehen pflegt, weil es die Vernunft vorschreibt,    
  37 nämlich mit dem moralisch=guten Lebenswandel. Weil man aber selbst    
         
     

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