Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 316

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Staat, der Mensch im Staate habe einen Theil seiner angebornen      
  02 äußeren Freiheit einem Zwecke aufgeopfert, sondern er hat die wilde, gesetzlose      
  03 Freiheit gänzlich verlassen, um seine Freiheit überhaupt in einer      
  04 gesetzlichen Abhängigkeit, d. i. in einem rechtlichen Zustande, unvermindert      
  05 wieder zu finden, weil diese Abhängigkeit aus seinem eigenen gesetzgebenden      
  06 Willen entspringt.      
           
  07
§ 48.
     
           
  08 Die drei Gewalten im Staate sind also erstlich einander, als so      
  09 viel moralische Personen, beigeordnet ( potestates coordinatae ), d. i. die      
  10 eine ist das Ergänzungsstück der anderen zur Vollständigkeit ( complementum      
  11 ad sufficientiam ) der Staatsverfassung; aber zweitens auch      
  12 einander untergeordnet ( subordinatae ), so daß eine nicht zugleich die      
  13 Function der anderen, der sie zur Hand geht, usurpiren kann, sondern ihr      
  14 eigenes Princip hat, d. i. zwar in der Qualität einer besonderen Person,      
  15 aber doch unter der Bedingung des Willens einer oberen gebietet; drittens      
  16 durch Vereinigung beider jedem Unterthanen sein Recht ertheilend.      
           
  17 Von diesen Gewalten, in ihrer Würde betrachtet, wird es heißen:      
  18 der Wille des Gesetzgebers( legislatoris ) in Ansehung dessen, was das      
  19 äußere Mein und Dein betrifft, ist untadelig (irreprehensibel), das      
  20 Ausführungs=Vermögen des Oberbefehlshabers ( summi rectoris )      
  21 unwiderstehlich (irresistibel) und der Rechtsspruch des obersten Richters      
  22 ( supremi iudicis ) unabänderlich (inappellabel).      
           
  23
§ 49.
     
           
  24 Der Regent des Staats ( rex, princeps ) ist diejenige (moralische      
  25 oder physische ) Person, welcher die ausübende Gewalt ( potestas executoria )      
  26 zukommt: der Agent des Staats, der die Magisträte einsetzt, dem      
  27 Volk die Regeln vorschreibt, nach denen ein jeder in demselben dem Gesetze      
  28 gemäß (durch Subsumtion eines Falles unter demselben) etwas erwerben,      
  29 oder das Seine erhalten kann. Als moralische Person betrachtet,      
  30 heißt er das Directorium, die Regierung. Seine Befehle an das      
  31 Volk und die Magisträte und ihre Obere (Minister), welchen die Staatsverwaltung      
  32 ( gubernatio ) obliegt, sind Verordnungen, Decrete (nicht      
  33 Gesetze); denn sie gehen auf Entscheidung in einem besonderen Fall und      
  34 werden als abänderlich gegeben. Eine Regierung, die zugleich gesetzgebend      
  35 wäre, würde despotisch zu nennen sein im Gegensatz mit der      
           
     

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