Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 141

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Weil aber doch dieser Glaube, der das moralische Verhältniß der      
  02 Menschen zum höchsten Wesen zum Behuf einer Religion überhaupt von      
  03 schädlichen Anthropomorphismen gereinigt und der ächten Sittlichkeit      
  04 eines Volks Gottes angemessen hat, in einer (der christlichen) Glaubenslehre      
  05 zuerst und in derselben allein der Welt öffentlich aufgestellt worden:      
  06 so kann man die Bekanntmachung desselben wohl die Offenbarung desjenigen      
  07 nennen, was für Menschen durch ihre eigene Schuld bis dahin      
  08 Geheimniß war.      
           
  09 In ihr nämlich heißt es erstlich: man soll den höchsten Gesetzgeber      
  10 als einen solchen sich nicht als gnädig, mithin nachsichtlich (indulgent)      
  11 für die Schwäche der Menschen, noch despotisch und bloß nach seinem      
  12 unbeschränkten Recht gebietend und seine Gesetze nicht als willkürliche, mit      
  13 unsern Begriffen der Sittlichkeit gar nicht verwandte, sondern als auf      
  14 Heiligkeit des Menschen bezogene Gesetze vorstellen. Zweitens, man mu      
  15 seine Güte nicht in einem unbedingten Wohlwollen gegen seine Geschöpfe,      
  16 sondern darein setzen, daß er auf die moralische Beschaffenheit      
  17 derselben, dadurch sie ihm wohlgefallen können, zuerst sieht und ihr      
  18 Unvermögen, dieser Bedingung von selbst Genüge zu thun, nur alsdann      
  19 ergänzt. Drittens, seine Gerechtigkeit kann nicht als gütig und abbittlich      
  20 (welches einen Widerspruch enthält), noch weniger als in der      
  21 Qualität der Heiligkeit des Gesetzgebers (vor der kein Mensch gerecht      
  22 ist) ausgeübt vorgestellt werden, sondern nur als Einschränkung der Gütigkeit      
  23 auf die Bedingung der Übereinstimmung der Menschen mit dem      
  24 heiligen Gesetze, so weit sie als Menschenkinder der Anforderung des      
  25 letztern gemäß sein könnten. - Mit einem Wort: Gott will in einer dreifachen,      
  26 specifisch verschiedenen moralischen Qualität gedient sein, für welche      
  27 die Benennung der verschiedenen (nicht physischen, sondern moralischen)      
  28 Persönlichkeit eines und desselben Wesens kein unschicklicher Ausdruck ist,      
  29 welches Glaubenssymbol zugleich die ganze reine moralische Religion ausdrückt,      
  30 die ohne diese Unterscheidung sonst Gefahr läuft, nach dem Hange      
  31 des Menschen, sich die Gottheit wie ein menschliches Oberhaupt zu denken,      
           
     

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