Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 023

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Die Beantwortung der gedachten Frage nach der rigoristischen Entscheidungsart )      
  02 gründet sich auf der für die Moral wichtigen Bemerkung:      
  03 die Freiheit der Willkür ist von der ganz eigenthümlichen Beschaffenheit,      
           
    † Eine moralisch=gleichgültige Handlung ( adiaphoron morale ) würde eine bloß aus Naturgesetzen erfolgende Handlung sein, die also aufs sittliche Gesetz, als Gesetz der Freiheit, in gar keiner Beziehung steht: indem sie kein Factum ist und in Ansehung ihrer weder Gebot, noch Verbot, noch auch Erlaubniß (gesetzliche Befugniß) statt findet, oder nöthig ist. †) Herr Prof. Schiller mißbilligt in seiner mit Meisterhand verfaßten Abhandlung (Thalia 1793, 3tes Stück) über Anmuth und Würde in der Moral diese Vorstellungsart der Verbindlichkeit, als ob sie eine kartäuserartige Gemüthsstimmung bei sich führe; allein ich kann, da wir in den wichtigsten Principien einig sind, auch in diesem keine Uneinigkeit statuiren, wenn wir uns nur unter einander verständlich machen können. - Ich gestehe gern: daß ich dem Pflichtbegriffe gerade um seiner Würde willen keine Anmuth beigesellen kann. Denn er enthält unbedingte Nöthigung, womit Anmuth in geradem Widerspruch steht. Die Majestät des Gesetzes (gleich dem auf Sinai) flößt Ehrfurcht ein (nicht Scheu, welche zurückstößt, auch nicht Reiz, der zur Vertraulichkeit einladet), welche Achtung des Untergebenen gegen seinen Gebieter, in diesem Fall aber, da dieser in uns selbst liegt, ein Gefühl des Erhabenen unserer eigenen Bestimmung erweckt, was uns mehr hinreißt als alles Schöne. - Aber die Tugend, d. i. die fest gegründete Gesinnung seine Pflicht genau zu erfüllen, ist in ihren Folgen auch wohlthätig, mehr wie alles, was Natur oder Kunst in der Welt leisten mag; und das herrliche Bild der Menschheit, in dieser ihrer Gestalt aufgestellt, verstattet gar wohl die Begleitung der Grazien, die aber, wenn noch von Pflicht allein die Rede ist, sich in ehrerbietiger Entfernung halten. Wird aber auf die anmuthigen Folgen gesehen, welche die Tugend, wenn sie überall Eingang fände, in der Welt verbreiten würde, so zieht alsdann die moralisch=gerichtete Vernunft die Sinnlichkeit (durch die Einbildungskraft) mit ins Spiel. Nur nach bezwungenen Ungeheuern wird Hercules Musaget, vor welcher Arbeit jene gute Schwestern zurück beben. Diese Begleiterinnen der Venus Urania sind Buhlschwestern im Gefolge der Venus Dione, sobald sie sich ins Geschäft der Pflichtbestimmung einmischen und die Triebfedern dazu hergeben wollen. - Frägt man nun: welcherlei ist die ästhetische Beschaffenheit, gleichsam das [Seitenumbruch] Temperament der Tugend, muthig, mithin fröhlich, oder ängstlich=gebeugt und niedergeschlagen? so ist kaum eine Antwort nöthig. Die letztere sklavische Gemüthsstimmung kann nie ohne einen verborgenen Haß des Gesetzes statt finden, und das fröhliche Herz in Befolgung seiner Pflicht (nicht die Behaglichkeit in Anerkennung desselben) ist ein Zeichen der Ächtheit tugendhafter Gesinnung, selbst in der Frömmigkeit, die nicht in der Selbstpeinigung des reuigen Sünders (welche sehr zweideutig ist und gemeiniglich nur innerer Vorwurf ist, wider die Klugheitsregel verstoßen zu haben), sondern im festen Vorsatz es künftig besser zu machen besteht, der, durch den guten Fortgang angefeuert, eine fröhliche Gemüthsstimmung bewirken muß, ohne welche man nie gewiß ist, das Gute auch lieb gewonnen, d. i. es in seine Maxime aufgenommen zu haben.      
           
     

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