Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 480 |
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| 01 | Der physisch=teleologische Beweisgrund reicht aber darum nicht | ||||||
| 02 | zur Theologie zu, weil er keinen für diese Absicht hinreichend bestimmten | ||||||
| 03 | Begriff von dem Urwesen giebt, noch geben kann, sondern man | ||||||
| 04 | diesen gänzlich anderwärts hernehmen, oder seinen Mangel dadurch als | ||||||
| 05 | durch einen willkürlichen Zusatz ersetzen muß. Ihr schließt aus der großen | ||||||
| 06 | Zweckmäßigkeit der Naturformen und ihrer Verhältnisse auf eine verständige | ||||||
| 07 | Weltursache; aber auf welchen Grad dieses Verstandes? Ohne Zweifel | ||||||
| 08 | könnt Ihr Euch nicht anmaßen: auf den höchst=möglichen Verstand; denn | ||||||
| 09 | dazu würde erfordert werden, daß Ihr einsähet, ein größerer Verstand, | ||||||
| 10 | als wovon Ihr Beweisthümer in der Welt wahrnehmet, sei nicht denkbar: | ||||||
| 11 | welches Euch selber Allwissenheit beilegen hieße. Eben so schließt Ihr aus | ||||||
| 12 | der Größe der Welt auf eine sehr große Macht des Urhebers; aber Ihr | ||||||
| 13 | werdet Euch bescheiden, daß dieses nur comparativ für Eure Fassungskraft | ||||||
| 14 | Bedeutung hat, und, da Ihr nicht alles Mögliche erkennt, um es mit der | ||||||
| 15 | Weltgröße, so weit Ihr sie kennt, zu vergleichen, Ihr nach einem so kleinen | ||||||
| 16 | Maßstabe keine Allmacht des Urhebers folgern könnet, u. s. w.. Nun gelangt | ||||||
| 17 | Ihr dadurch zu keinem bestimmten, für eine Theologie tauglichen | ||||||
| 18 | Begriffe eines Urwesens; denn dieser kann nur in dem der Allheit der mit | ||||||
| 19 | einem Verstande vereinbarten Vollkommenheiten gefunden werden, wozu | ||||||
| 20 | Euch bloß empirische Data gar nicht verhelfen können: ohne einen solchen | ||||||
| 21 | bestimmten Begriff aber könnt Ihr auch nicht auf ein einiges verständiges | ||||||
| 22 | Urwesen schließen, sondern (es sei zu welchem Behuf) ein solches | ||||||
| 23 | nur annehmen. - Nun kann man es zwar ganz wohl einräumen, | ||||||
| 24 | daß Ihr (da die Vernunft nichts Gegründetes dawider zu sagen hat) willkürlich | ||||||
| 25 | hinzusetzt: wo so viel Vollkommenheit angetroffen wird, möge | ||||||
| 26 | man wohl alle Vollkommenheit in einer einzigen Weltursache vereinigt | ||||||
| 27 | annehmen; weil die Vernunft mit einem so bestimmten Princip theoretisch | ||||||
| 28 | und praktisch besser zurecht kommt. Aber Ihr könnt denn doch diesen Begriff | ||||||
| 29 | des Urwesens nicht als von Euch bewiesen anpreisen, da Ihr ihn nur | ||||||
| 30 | zum Behuf eines bessern Vernunftgebrauchs angenommen habt. Alles | ||||||
| 31 | Jammern also oder ohnmächtiges Zürnen über den vorgeblichen Frevel, | ||||||
| 32 | die Bündigkeit Eurer Schlußkette in Zweifel zu ziehen, ist eitle Großthuerei, | ||||||
| 33 | die gern haben möchte, daß man den Zweifel, welchen man gegen | ||||||
| 34 | Euer Argument frei heraussagt, für Bezweifelung heiliger Wahrheit halten | ||||||
| 35 | möchte, um nur hinter dieser Decke die Seichtigkeit desselben durchschlüpfen | ||||||
| 36 | zu lassen. | ||||||
| 37 | Die moralische Teleologie hingegen, welche nicht minder fest gegründet | ||||||
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