Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 370 |
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Text (Kant):
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| 01 | suchen zu müssen, dazu wird erfordert: daß seine Form nicht nach bloßen | ||||||
| 02 | Naturgesetzen möglich sei, d. i. solchen, welche von uns durch den Verstand | ||||||
| 03 | allein, auf Gegenstände der Sinne angewandt, erkannt werden können; | ||||||
| 04 | sondern daß selbst ihr empirisches Erkenntniß ihrer Ursache und Wirkung | ||||||
| 05 | nach Begriffe der Vernunft voraussetze. Diese Zufälligkeit seiner | ||||||
| 06 | Form bei allen empirischen Naturgesetzen in Beziehung auf die Vernunft, | ||||||
| 07 | da die Vernunft, welcher an einer jeden Form eines Naturproducts auch | ||||||
| 08 | die Nothwendigkeit derselben erkennen muß, wenn sie auch nur die mit | ||||||
| 09 | seiner Erzeugung verknüpften Bedingungen einsehen will, gleichwohl an | ||||||
| 10 | jener gegebenen Form diese Nothwendigkeit nicht annehmen kann, ist selbst | ||||||
| 11 | ein Grund, die Causalität desselben so anzunehmen, als ob sie eben darum | ||||||
| 12 | nur durch Vernunft möglich sei; diese aber ist alsdann das Vermögen, | ||||||
| 13 | nach Zwecken zu handeln (ein Wille); und das Object, welches nur als | ||||||
| 14 | aus diesem möglich vorgestellt wird, würde nur als Zweck für möglich | ||||||
| 15 | vorgestellt werden. | ||||||
| 16 | Wenn jemand in einem ihm unbewohnt scheinenden Lande eine | ||||||
| 17 | geometrische Figur, allenfalls ein reguläres Sechseck, im Sande gezeichnet | ||||||
| 18 | wahrnähme: so würde seine Reflexion, indem sie an einem Begriffe derselben | ||||||
| 19 | arbeitet, der Einheit des Princips der Erzeugung desselben, wenn | ||||||
| 20 | gleich dunkel, vermittelst der Vernunft inne werden und so dieser gemäß | ||||||
| 21 | den Sand, das benachbarte Meer, die Winde, oder auch Thiere mit ihren | ||||||
| 22 | Fußtritten, die er kennt, oder jede andere vernunftlose Ursache nicht als | ||||||
| 23 | einen Grund der Möglichkeit einer solchen Gestalt beurtheilen: weil ihm | ||||||
| 24 | die Zufälligkeit, mit einem solchen Begriffe, der nur in der Vernunft | ||||||
| 25 | möglich ist, zusammen zu treffen, so unendlich groß scheinen würde, daß | ||||||
| 26 | es eben so gut wäre, als ob es dazu gar kein Naturgesetz gebe, daß folglich | ||||||
| 27 | auch keine Ursache in der bloß mechanisch wirkenden Natur, sondern nur | ||||||
| 28 | der Begriff von einem solchen Object als Begriff, den nur Vernunft geben | ||||||
| 29 | und mit demselben den Gegenstand vergleichen kann, auch die Causalität | ||||||
| 30 | zu einer solchen Wirkung enthalten, folglich diese durchaus als Zweck, | ||||||
| 31 | aber nicht Naturzweck, d. i. als Product der Kunst, angesehen werden | ||||||
| 32 | könne ( vestigium hominis video ). | ||||||
| 33 | Um aber etwas, das man als Naturproduct erkennt, gleichwohl doch | ||||||
| 34 | auch als Zweck, mithin als Naturzweck zu beurtheilen: dazu, wenn nicht | ||||||
| 35 | etwa hierin gar ein Widerspruch liegt, wird schon mehr erfordert. Ich | ||||||
| 36 | würde vorläufig sagen: ein Ding existirt als Naturzweck, wenn es von | ||||||
| 37 | sich selbst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung ist; | ||||||
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