Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 251

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01

§ 26.

     
  02

Von der Größenschätzung der Naturdinge, die zur Idee des

     
  03

Erhabenen erforderlich ist.

     
           
  04 Die Größenschätzung durch Zahlbegriffe (oder deren Zeichen in der      
  05 Algebra) ist mathematisch, die aber in der bloßen Anschauung (nach dem      
  06 Augenmaße) ist ästhetisch. Nun können wir zwar bestimmte Begriffe davon,      
  07 wie groß etwas sei, nur durch Zahlen (allenfalls Annäherungen      
  08 durch ins Unendliche fortgehende Zahlreihen) bekommen, deren Einheit      
  09 das Maß ist; und sofern ist alle logische Größenschätzung mathematisch.      
  10 Allein da die Größe des Maßes doch als bekannt angenommen werden      
  11 muß, so würden, wenn diese nun wiederum nur durch Zahlen, deren Einheit      
  12 ein anderes Maß sein müßte, mithin mathematisch geschätzt werden      
  13 sollte, wir niemals ein erstes oder Grundmaß, mithin auch keinen bestimmten      
  14 Begriff von einer gegebenen Größe haben können. Also mu      
  15 die Schätzung der Größe des Grundmaßes bloß darin bestehen, daß man      
  16 sie in einer Anschauung unmittelbar fassen und durch Einbildungskraft      
  17 zur Darstellung der Zahlbegriffe brauchen kann: d. i. alle Größenschätzung      
  18 der Gegenstände der Natur ist zuletzt ästhetisch (d. i. subjectiv und nicht      
  19 objectiv bestimmt).      
           
  20 Nun giebt es zwar für die mathematische Größenschätzung kein Größtes      
  21 (denn die Macht der Zahlen geht ins Unendliche); aber für die ästhetische      
  22 Größenschätzung giebt es allerdings ein Größtes; und von diesem      
  23 sage ich: daß, wenn es als absolutes Maß, über das kein größeres subjectiv      
  24 (dem beurtheilenden Subject) möglich sei, beurtheilt wird, es die      
  25 Idee des Erhabenen bei sich führe und diejenige Rührung, welche keine      
  26 mathematische Schätzung der Größen durch Zahlen (es sei denn, so weit      
  27 jenes ästhetische Grundmaß dabei in der Einbildungskraft lebendig erhalten      
  28 wird) bewirken kann, hervorbringe: weil die letztere immer nur die      
  29 relative Größe durch Vergleichung mit andern gleicher Art, die erstere      
  30 aber die Größe schlechthin, so weit das Gemüth sie in einer Anschauung      
  31 fassen kann, darstellt.      
           
  32 Anschaulich ein Quantum in die Einbildungskraft aufzunehmen, um      
  33 es zum Maße oder als Einheit zur Größenschätzung durch Zahlen brauchen      
  34 zu können, dazu gehören zwei Handlungen dieses Vermögens: Auffassung      
  35 ( apprehensio ) und Zusammenfassung ( comprehensio aesthetica ).      
  36 Mit der Auffassung hat es keine Noth: denn damit kann es ins      
           
     

[ Seite 250 ] [ Seite 252 ] [ Inhaltsverzeichnis ]