Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 070 |
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| 01 | Naturgesetzes überhaupt die Probe hält, so ist sie sittlich unmöglich. So | ||||||
| 02 | urtheilt selbst der gemeinste Verstand; denn das Naturgesetz liegt allen | ||||||
| 03 | seinen gewöhnlichsten, selbst den Erfahrungsurtheilen immer zum Grunde. | ||||||
| 04 | Er hat es also jederzeit bei der Hand, nur daß er in Fällen, wo die Causalität | ||||||
| 05 | aus Freiheit beurtheilt werden soll, jenes Naturgesetz blos zum | ||||||
| 06 | Typus eines Gesetzes der Freiheit macht, weil er, ohne etwas, was er | ||||||
| 07 | zum Beispiele im Erfahrungsfalle machen könnte, bei Hand zu haben, dem | ||||||
| 08 | Gesetze einer reinen praktischen Vernunft nicht den Gebrauch in der Anwendung | ||||||
| 09 | verschaffen könnte. | ||||||
| 10 | Es ist also auch erlaubt, die Natur der Sinnenwelt als Typus | ||||||
| 11 | einer intelligibelen Natur zu brauchen, so lange ich nur nicht die Anschauungen, | ||||||
| 12 | und was davon abhängig ist, auf diese übertrage, sondern | ||||||
| 13 | blos die Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt (deren Begriff auch im | ||||||
| 14 | gemeinsten Vernunftgebrauche stattfindet, aber in keiner anderen Absicht, | ||||||
| 15 | als blos zum reinen praktischen Gebrauche der Vernunft a priori bestimmt | ||||||
| 16 | erkannt werden kann) darauf beziehe. Denn Gesetze als solche sind | ||||||
| 17 | so fern einerlei, sie mögen ihre Bestimmungsgründe hernehmen, woher sie | ||||||
| 18 | wollen. | ||||||
| 19 | Übrigens, da von allem intelligibelen schlechterdings nichts als (vermittelst | ||||||
| 20 | des moralischen Gesetzes) die Freiheit und auch diese nur, so fern | ||||||
| 21 | sie eine von jenem unzertrennliche Voraussetzung ist, und ferner alle intelligibele | ||||||
| 22 | Gegenstände, auf welche uns die Vernunft nach Anleitung jenes | ||||||
| 23 | Gesetzes etwa noch führen möchte, wiederum für uns keine Realität weiter | ||||||
| 24 | haben, als zum Behuf desselben Gesetzes und des Gebrauchs der reinen | ||||||
| 25 | praktischen Vernunft, diese aber zum Typus der Urtheilskraft die Natur | ||||||
| 26 | (der reinen Verstandesform derselben nach) zu gebrauchen berechtigt und | ||||||
| 27 | auch benöthigt ist: so dient die gegenwärtige Anmerkung dazu, um zu verhüten, | ||||||
| 28 | daß, was blos zur Typik der Begriffe gehört, nicht zu den Begriffen | ||||||
| 29 | selbst gezählt werde. Diese also als Typik der Urtheilskraft bewahrt | ||||||
| 30 | vor dem Empirism der praktischen Vernunft, der die praktischen Begriffe | ||||||
| 31 | des Guten und Bösen blos in Erfahrungsfolgen (der sogenannten Glückseligkeit) | ||||||
| 32 | setzt, obzwar diese und die unendlichen nützlichen Folgen eines | ||||||
| 33 | durch Selbstliebe bestimmten Willens, wenn dieser sich selbst zugleich zum | ||||||
| 34 | allgemeinen Naturgesetze machte, allerdings zum ganz angemessenen Typus | ||||||
| 35 | für das sittlich Gute dienen kann, aber mit diesem doch nicht einerlei ist. | ||||||
| 36 | Eben dieselbe Typik bewahrt auch vor dem Mysticism der praktischen | ||||||
| 37 | Vernunft, welcher das, was nur zum Symbol diente, zum Schema macht, | ||||||
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