Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 062 |
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| 01 | bestimmen. Er bedarf also freilich nach dieser einmal mit ihm getroffenen | ||||||
| 02 | Naturanstalt Vernunft, um sein Wohl und Weh jederzeit in Betrachtung | ||||||
| 03 | zu ziehen, aber er hat sie überdem noch zu einem höheren Behuf, nämlich | ||||||
| 04 | auch das, was an sich gut oder böse ist, und worüber reine, sinnlich gar | ||||||
| 05 | nicht interessirte Vernunft nur allein urtheilen kann, nicht allein mit in | ||||||
| 06 | Überlegung zu nehmen, sondern diese Beurtheilung von jener gänzlich | ||||||
| 07 | zu unterscheiden und sie zur obersten Bedingung der letzteren zu machen. | ||||||
| 08 | In dieser Beurtheilung des an sich Guten und Bösen, zum Unterschiede | ||||||
| 09 | von dem, was nur beziehungsweise auf Wohl oder Übel so genannt | ||||||
| 10 | werden kann, kommt es auf folgende Punkte an. Entweder ein Vernunftprincip | ||||||
| 11 | wird schon an sich als der Bestimmungsgrund des Willens gedacht, | ||||||
| 12 | ohne Rücksicht auf mögliche Objecte des Begehrungsvermögens | ||||||
| 13 | (als blos durch die gesetzliche Form der Maxime), alsdann ist jenes Princip | ||||||
| 14 | praktisches Gesetz a priori, und reine Vernunft wird für sich praktisch | ||||||
| 15 | zu sein angenommen. Das Gesetz bestimmt alsdann unmittelbar den | ||||||
| 16 | Willen, die ihm gemäße Handlung ist an sich selbst gut, ein Wille, | ||||||
| 17 | dessen Maxime jederzeit diesem Gesetze gemäß ist, ist schlechterdings, | ||||||
| 18 | in aller Absicht, gut und die oberste Bedingung alles Guten: | ||||||
| 19 | oder es geht ein Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens vor der | ||||||
| 20 | Maxime des Willens vorher, der ein Object der Lust und Unlust voraussetzt, | ||||||
| 21 | mithin etwas, das vergnügt oder schmerzt, und die Maxime der | ||||||
| 22 | Vernunft, jene zu befördern, diese zu vermeiden, bestimmt die Handlungen, | ||||||
| 23 | wie sie beziehungsweise auf unsere Neigung, mithin nur mittelbar (in | ||||||
| 24 | Rücksicht auf einen anderweitigen Zweck, als Mittel zu demselben) gut | ||||||
| 25 | sind, und diese Maximen können alsdann niemals Gesetze, dennoch aber | ||||||
| 26 | vernünftige praktische Vorschriften heißen. Der Zweck selbst, das Vergnügen, | ||||||
| 27 | das wir suchen, ist im letzteren Falle nicht ein Gutes, sondern | ||||||
| 28 | ein Wohl, nicht ein Begriff der Vernunft, sondern ein empirischer Begriff | ||||||
| 29 | von einem Gegenstande der Empfindung; allein der Gebrauch des | ||||||
| 30 | Mittels dazu, d. i. die Handlung (weil dazu vernünftige Überlegung erfordert | ||||||
| 31 | wird), heißt dennoch gut, aber nicht schlechthin, sondern nur in | ||||||
| 32 | Beziehung auf unsere Sinnlichkeit, in Ansehung ihres Gefühls der Lust | ||||||
| 33 | und Unlust; der Wille aber, dessen Maxime dadurch afficirt wird, ist nicht | ||||||
| 34 | ein reiner Wille, der nur auf das geht, wobei reine Vernunft für sich selbst | ||||||
| 35 | praktisch sein kann. | ||||||
| 36 | Hier ist nun der Ort, das Paradoxon der Methode in einer Kritik | ||||||
| 37 | der praktischen Vernunft zu erklären: daß nämlich der Begriff des | ||||||
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