Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 550

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 eine Springfeder zu spannen), und außerdem, daß sie das nicht beweisen, was in      
  02 dem genannten Gesetze eigentlich gemeint ist, die Mittheilung der Bewegung      
  03 selbst ihrer Möglichkeit nach gar nicht erklärten. Denn der Name vom Übergang      
  04 der Bewegung von einem Körper auf den andern erklärt nichts, und wenn      
  05 man ihn nicht etwa (dem Grundsatze accidentia non migrant e substantiis in substantias      
  06 zuwider) buchstäblich nehmen will, als wenn Bewegung von einem Körper      
  07 in einen anderen, wie Wasser aus einem Glase in das andere gegossen würde, so      
  08 ist es hier eben die Aufgabe, wie diese Möglichkeit begreiflich zu machen sei, deren      
  09 Erklärung nun gerade auf demselben Grunde beruht, woraus das Gesetz der      
  10 Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung abgeleitet wird. Man kann sich gar      
  11 nicht denken, wie die Bewegung eines Körpers A mit der Bewegung eines anderen      
  12 B nothwendig verbunden sein müsse, als so, daß man sich Kräfte an beiden denkt,      
  13 die ihnen (dynamisch) vor aller Bewegung zukommen, z. B. Zurückstoßung, und      
  14 nun beweisen kann, daß die Bewegung des Körpers A durch Annäherung gegen B      
  15 mit der Annäherung von B gegen A und, wenn B als ruhig angesehen wird, mit      
  16 der Bewegung desselben zusammt seinem Raume gegen A nothwendig verbunden      
  17 sei, so fern die Körper mit ihren (ursprünglich) bewegenden Kräften blos      
  18 relativ auf einander in Bewegung betrachtet werden. Dieses letztere kann völlig      
  19 a priori dadurch eingesehen werden, daß, es mag nun der Körper B in Ansehung      
  20 des empirisch kennbaren Raumes ruhig, oder bewegt sein, er doch in Ansehung      
  21 des Körpers A nothwendig als bewegt und zwar in entgegengesetzter Richtung als      
  22 bewegt angesehen werden müsse: weil sonst kein Einfluß desselben auf die repulsive      
  23 Kraft beider stattfinden würde, ohne welchen ganz und gar keine mechanische      
  24 Wirkung der Materien auf einander, d. i. keine Mittheilung der Bewegung durch      
  25 den Stoß, möglich ist.      
           
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Anmerkung 2.
     
           
  27 Die Benennung der Trägheitskraft ( vis inertiae ) muß also unerachtet des      
  28 berühmten Namens ihres Urhebers aus der Naturwissenschaft gänzlich weggeschafft      
  29 werden, nicht allein weil sie einen Widerspruch im Ausdrucke selbst bei sich führt,      
  30 oder auch deswegen weil das Gesetz der Trägheit (Leblosigkeit) dadurch leicht mit      
  31 dem Gesetze der Gegenwirkung in jeder mitgetheilten Bewegung verwechselt werden      
  32 könnte, sondern vornehmlich weil dadurch die irrige Vorstellung derer, die der      
  33 mechanischen Gesetze nicht recht kundig sind, erhalten und bestärkt wird, nach welcher      
  34 die Gegenwirkung der Körper, von der unter dem Namen der Trägheitskraft die      
  35 Rede ist, darin bestehe, daß die Bewegung dadurch in der Welt aufgezehrt, vermindert      
  36 oder vertilgt, nicht aber die bloße Mittheilung derselben dadurch bewirkt      
  37 werde, indem nämlich der bewegende Körper einen Theil seiner Bewegung blos dazu      
  38 aufwenden müßte, um die Trägheit des ruhenden zu überwinden (welches denn      
  39 reiner Verlust wäre), mit dem übrigen Theile allein könne er den letzteren in Bewegung      
           
     

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