Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 508

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 in der Erscheinung, die niemals anders als zusammengesetzt (ausgedehnt) gegeben      
  02 werden kann, die Theile nur durch Theilung und also nicht vor dem Zusammengesetzten,      
  03 sondern nur in demselben gegeben werden können. Daher war Leibnizens      
  04 Meinung, so viel ich einsehe, nicht, den Raum durch die Ordnung einfacher Wesen      
  05 neben einander zu erklären, sondern ihm vielmehr diese als correspondirend, aber      
  06 zu einer blos intelligibeln (für uns unbekannten) Welt gehörig zur Seite zu setzen      
  07 und nichts anders zu behaupten, als was anderwärts gezeigt worden, nämlich daß      
  08 der Raum sammt der Materie, davon er die Form ist, nicht die Welt von Dingen      
  09 an sich selbst, sondern nur die Erscheinung derselben enthalte und selbst nur die      
  10 Form unserer äußern sinnlichen Anschauung sei.      
           
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Lehrsatz 5.
     
           
  12 Die Möglichkeit der Materie erfordert eine Anziehungskraft      
  13 als die zweite wesentliche Grundkraft derselben.      
           
  14
Beweis.
     
           
  15 Die Undurchdringlichkeit als die Grundeigenschaft der Materie, wodurch      
  16 sie sich als etwas Reales im Raume unseren äußeren Sinnen zuerst      
  17 offenbart, ist nichts als das Ausdehnungsvermögen der Materie (Lehrsatz      
  18 2). Nun kann eine wesentliche bewegende Kraft, dadurch die Theile      
  19 der Materie einander fliehen, erstlich nicht durch sich selbst eingeschränkt      
  20 werden, weil die Materie dadurch vielmehr bestrebt ist, den Raum, den      
  21 sie erfüllt, continuirlich zu erweitern, zweitens auch nicht durch den Raum      
  22 allein auf eine gewisse Grenze der Ausdehnung gesetzt werden; denn dieser      
  23 kann zwar den Grund davon enthalten, daß bei Erweiterung des Volumens      
  24 einer sich ausdehnenden Materie die ausdehnende Kraft in umgekehrtem      
  25 Verhältnisse schwächer werde, aber, weil von einer jeden bewegenden      
  26 Kraft ins Unendliche kleinere Grade möglich sind, niemals den      
  27 Grund enthalten, daß sie irgendwo aufhöre. Also würde die Materie durch      
  28 ihre repulsive Kraft (welche den Grund der Undurchdringlichkeit enthält)      
  29 allein und, wenn ihr nicht eine andere bewegende Kraft entgegenwirkte,      
  30 innerhalb keinen Grenzen der Ausdehnung gehalten sein, d. i. sich ins Unendliche      
  31 zerstreuen, und in keinem anzugebenden Raume würde eine anzugebende      
  32 Quantität Materie anzutreffen sein. Folglich würden bei blos      
  33 repellirenden Kräften der Materie alle Räume leer, mithin eigentlich gar      
  34 keine Materie dasein. Es erfordert also alle Materie zu ihrer Existenz      
           
     

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