Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 458 |
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| 01 | keinen Abbruch thun kann, so gar, daß er die erstere nicht verantwortet | ||||||
| 02 | und seinem eigentlichen Selbst, d. i. seinem Willen, nicht zuschreibt, | ||||||
| 03 | wohl aber die Nachsicht, die er gegen sie tragen möchte, wenn er ihnen zum | ||||||
| 04 | Nachtheil der Vernunftgesetze des Willens Einfluß auf seine Maximen | ||||||
| 05 | einräumte. | ||||||
| 06 | Dadurch, daß die praktische Vernunft sich in eine Verstandeswelt | ||||||
| 07 | hinein denkt, überschreitet sie gar nicht ihre Grenzen, wohl aber wenn | ||||||
| 08 | sie sich hineinschauen, hineinempfinden wollte. Jenes ist nur ein | ||||||
| 09 | negativer Gedanke in Ansehung der Sinnenwelt, die der Vernunft in Bestimmung | ||||||
| 10 | des Willens keine Gesetze giebt, und nur in diesem einzigen | ||||||
| 11 | Punkte positiv, daß jene Freiheit als negative Bestimmung zugleich mit | ||||||
| 12 | einem (positiven) Vermögen und sogar mit einer Causalität der Vernunft | ||||||
| 13 | verbunden sei, welche wir einen Willen nennen, so zu handeln, daß das | ||||||
| 14 | Princip der Handlungen der wesentlichen Beschaffenheit einer Vernunftursache, | ||||||
| 15 | d. i. der Bedingung der Allgemeingültigkeit der Maxime als eines | ||||||
| 16 | Gesetzes, gemäß sei. Würde sie aber noch ein Object des Willens, d. i. | ||||||
| 17 | eine Bewegursache, aus der Verstandeswelt herholen, so überschritte sie | ||||||
| 18 | ihre Grenzen und maßte sich an, etwas zu kennen, wovon sie nichts weiß. | ||||||
| 19 | Der Begriff einer Verstandeswelt ist also nur ein Standpunkt, den die | ||||||
| 20 | Vernunft sich genöthigt sieht, außer den Erscheinungen zu nehmen, um | ||||||
| 21 | sich selbst als praktisch zu denken, welches, wenn die Einflüsse der | ||||||
| 22 | Sinnlichkeit für den Menschen bestimmend wären, nicht möglich sein würde, | ||||||
| 23 | welches aber doch nothwendig ist, wofern ihm nicht das Bewußtsein seiner | ||||||
| 24 | selbst als Intelligenz, mithin als vernünftige und durch Vernunft thätige, | ||||||
| 25 | d. i. frei wirkende, Ursache abgesprochen werden soll. Dieser Gedanke führt | ||||||
| 26 | freilich die Idee einer anderen Ordnung und Gesetzgebung, als die des | ||||||
| 27 | Naturmechanismus, der die Sinnenwelt trifft, herbei und macht den Begriff | ||||||
| 28 | einer intelligibelen Welt (d. i. das Ganze vernünftiger Wesen, als Dinge | ||||||
| 29 | an sich selbst) nothwendig, aber ohne die mindeste Anmaßung, hier weiter | ||||||
| 30 | als bloß ihrer formalen Bedingung nach, d. i. der Allgemeinheit der | ||||||
| 31 | Maxime des Willens als Gesetz, mithin der Autonomie des letzteren, die | ||||||
| 32 | allein mit der Freiheit desselben bestehen kann, gemäß zu denken; da hingegen | ||||||
| 33 | alle Gesetze, die auf ein Object bestimmt sind, Heteronomie geben, | ||||||
| 34 | die nur an Naturgesetzen angetroffen werden und auch nur die Sinnenwelt | ||||||
| 35 | treffen kann. | ||||||
| 36 | Aber alsdann würde die Vernunft alle ihre Grenze überschreiten, | ||||||
| 37 | wenn sie es sich zu erklären unterfinge, wie reine Vernunft praktisch sein | ||||||
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