Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 457 |
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| 01 | zu Ende bringe, damit praktische Vernunft Ruhe und Sicherheit für äußere | ||||||
| 02 | Angriffe habe, die ihr den Boden, worauf sie sich anbauen will, streitig | ||||||
| 03 | machen könnten. | ||||||
| 04 | Der Rechtsanspruch aber selbst der gemeinen Menschenvernunft auf | ||||||
| 05 | Freiheit des Willens gründet sich auf das Bewußtsein und die zugestandene | ||||||
| 06 | Voraussetzung der Unabhängigkeit der Vernunft von bloß subjectiv | ||||||
| 07 | bestimmenden Ursachen, die insgesammt das ausmachen, was bloß zur | ||||||
| 08 | Empfindung, mithin unter die allgemeine Benennung der Sinnlichkeit gehört. | ||||||
| 09 | Der Mensch, der sich auf solche Weise als Intelligenz betrachtet, setzt | ||||||
| 10 | sich dadurch in eine andere Ordnung der Dinge und in ein Verhältniß zu | ||||||
| 11 | bestimmenden Gründen von ganz anderer Art, wenn er sich als Intelligenz | ||||||
| 12 | mit einem Willen, folglich mit Causalität, begabt denkt, als wenn er sich | ||||||
| 13 | wie ein Phänomen in der Sinnenwelt (welches er wirklich auch ist) wahrnimmt | ||||||
| 14 | und seine Causalität äußerer Bestimmung nach Naturgesetzen | ||||||
| 15 | unterwirft. Nun wird er bald inne, daß beides zugleich stattfinden könne, | ||||||
| 16 | ja sogar müsse. Denn daß ein Ding in der Erscheinung (das zur | ||||||
| 17 | Sinnenwelt gehörig) gewissen Gesetzen unterworfen ist, von welchen eben | ||||||
| 18 | dasselbe als Ding oder Wesen an sich selbst unabhängig ist, enthält | ||||||
| 19 | nicht den mindesten Widerspruch; daß er sich selbst aber auf diese zwiefache | ||||||
| 20 | Art vorstellen und denken müsse, beruht, was das erste betrifft, auf dem | ||||||
| 21 | Bewußtsein seiner selbst als durch Sinne afficirten Gegenstandes, was | ||||||
| 22 | das zweite anlangt, auf dem Bewußtsein seiner selbst als Intelligenz, | ||||||
| 23 | d. i. als unabhängig im Vernunftgebrauch von sinnlichen Eindrücken | ||||||
| 24 | (mithin als zur Verstandeswelt gehörig). | ||||||
| 25 | Daher kommt es, daß der Mensch sich eines Willens anmaßt, der | ||||||
| 26 | nichts auf seine Rechnung kommen läßt, was bloß zu seinen Begierden | ||||||
| 27 | und Neigungen gehört, und dagegen Handlungen durch sich als möglich, | ||||||
| 28 | ja gar als nothwendig denkt, die nur mit Hintansetzung aller Begierden | ||||||
| 29 | und sinnlichen Anreizungen geschehen können. Die Causalität derselben | ||||||
| 30 | liegt in ihm als Intelligenz und in den Gesetzen der Wirkungen und | ||||||
| 31 | Handlungen nach Principien einer intelligibelen Welt, von der er wohl | ||||||
| 32 | nichts weiter weiß, als daß darin lediglich die Vernunft und zwar reine, | ||||||
| 33 | von Sinnlichkeit unabhängige Vernunft das Gesetz gebe, imgleichen da er | ||||||
| 34 | daselbst nur als Intelligenz das eigentliche Selbst (als Mensch hingegen | ||||||
| 35 | nur Erscheinung seiner selbst) ist, jene Gesetze ihn unmittelbar und kategorisch | ||||||
| 36 | angehen, so daß, wozu Neigungen und Antriebe (mithin die ganze | ||||||
| 37 | Natur der Sinnenwelt) anreizen, den Gesetzen seines Wollens als Intelligenz | ||||||
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