Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 412 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | Natur der menschlichen Vernunft abhängig zu machen, sondern | ||||||
| 02 | darum, weil moralische Gesetze für jedes vernünftige Wesen überhaupt | ||||||
| 03 | gelten sollen, sie schon aus dem allgemeinen Begriffe eines vernünftigen | ||||||
| 04 | Wesens überhaupt abzuleiten und auf solche Weise alle Moral, die zu ihrer | ||||||
| 05 | Anwendung auf Menschen der Anthropologie bedarf, zuerst unabhängig | ||||||
| 06 | von dieser als reine Philosophie, d. i. als Metaphysik, vollständig (welches | ||||||
| 07 | sich in dieser Art ganz abgesonderter Erkenntnisse wohl thun läßt) vorzutragen, | ||||||
| 08 | wohl bewußt, daß es, ohne im Besitze derselben zu sein, vergeblich | ||||||
| 09 | sei, ich will nicht sagen, das Moralische der Pflicht in allem, was pflichtmäßig | ||||||
| 10 | ist, genau für die speculative Beurtheilung zu bestimmen, sondern | ||||||
| 11 | sogar im bloß gemeinen und praktischen Gebrauche, vornehmlich der moralischen | ||||||
| 12 | Unterweisung, unmöglich sei, die Sitten auf ihre ächte Principien | ||||||
| 13 | zu gründen und dadurch reine moralische Gesinnungen zu bewirken und | ||||||
| 14 | zum höchsten Weltbesten den Gemüthern einzupfropfen. | ||||||
| 15 | Um aber in dieser Bearbeitung nicht bloß von der gemeinen sittlichen | ||||||
| 16 | Beurtheilung (die hier sehr achtungswürdig ist) zur philosophischen, wie | ||||||
| 17 | sonst geschehen ist, sondern von einer populären Philosophie, die nicht | ||||||
| 18 | weiter geht, als sie durch Tappen vermittelst der Beispiele kommen kann, | ||||||
| 19 | bis zur Metaphysik (die sich durch nichts Empirisches weiter zurückhalten | ||||||
| 20 | läßt und, indem sie den ganzen Inbegriff der Vernunfterkenntniß dieser | ||||||
| 21 | Art ausmessen muß, allenfalls bis zu Ideen geht, wo selbst die Beispiele | ||||||
| 22 | uns verlassen) durch die natürlichen Stufen fortzuschreiten, müssen wir | ||||||
| 23 | das praktische Vernunftvermögen von seinen allgemeinen Bestimmungsregeln | ||||||
| 24 | an bis dahin, wo aus ihm der Begriff der Pflicht entspringt, verfolgen | ||||||
| 25 | und deutlich darstellen. | ||||||
| 26 | Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges | ||||||
| 27 | Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach | ||||||
| 28 | Principien, zu handeln, oder einen Willen. Da zur Ableitung der Handlungen | ||||||
| 29 | von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts | ||||||
| 30 | anders als praktische Vernunft. Wenn die Vernunft den Willen unausbleiblich | ||||||
| 31 | bestimmt, so sind die Handlungen eines solchen Wesens, die als | ||||||
| 32 | objectiv nothwendig erkannt werden, auch subjectiv nothwendig, d. i. der | ||||||
| 33 | Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft | ||||||
| 34 | unabhängig von der Neigung als praktisch nothwendig, d. i. als gut, erkennt. | ||||||
| 35 | Bestimmt aber die Vernunft für sich allein den Willen nicht hinlänglich, | ||||||
| 36 | ist dieser noch subjectiven Bedingungen (gewissen Triebfedern) | ||||||
| 37 | unterworfen, die nicht immer mit den objectiven übereinstimmen; mit | ||||||
| [ Seite 411 ] [ Seite 413 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||