Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 245

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 als solche nicht Erscheinung, d. i. bloße Vorstellung des Gemüths, der ein      
  02 unbekannter Gegenstand entspricht, sondern der Gegenstand an sich selbst      
  03 sei, so wie er außer uns und unabhängig von aller Sinnlichkeit existirt.      
           
  04 Es kann also wider den gemein angenommenen physischen Einfluß      
  05 kein dogmatischer Einwurf gemacht werden. Denn nimmt der Gegner an,      
  06 daß Materie und ihre Bewegung bloße Erscheinungen und also selbst nur      
  07 Vorstellungen seien, so kann er nur darin die Schwierigkeit setzen, daß      
  08 der unbekannte Gegenstand unserer Sinnlichkeit nicht die Ursache der Vorstellungen      
  09 in uns sein könne, welches aber vorzugeben ihn nicht das mindeste      
  10 berechtigt, weil niemand von einem unbekannten Gegenstande ausmachen      
  11 kann, was er thun oder nicht thun könne. Er muß aber nach      
  12 unseren obigen Beweisen diesen transscendentalen Idealism nothwendig      
  13 einräumen, wofern er nicht offenbar Vorstellungen hypostasiren und sie      
  14 als wahre Dinge außer sich versetzen will.      
           
  15 Gleichwohl kann wider die gemeine Lehrmeinung des physischen Einflusses      
  16 ein gegründeter kritischer Einwurf gemacht werden. Eine solche      
  17 vorgegebene Gemeinschaft zwischen zwei Arten von Substanzen, der denkenden      
  18 und der ausgedehnten, legt einen groben Dualism zum Grunde      
  19 und macht die letztere, die doch nichts als bloße Vorstellungen des denkenden      
  20 Subjects sind, zu Dingen, die für sich bestehen. Also kann der mißverstandene      
  21 physische Einfluß dadurch völlig vereitelt werden, daß man      
  22 den Beweisgrund desselben als nichtig und erschlichen aufdeckt.      
           
  23 Die berüchtigte Frage wegen der Gemeinschaft des Denkenden und      
  24 Ausgedehnten würde also, wenn man alles Eingebildete absondert, lediglich      
  25 darauf hinauslaufen: wie in einem denkenden Subject überhaupt      
  26 äußere Anschauung, nämlich die des Raumes (einer Erfüllung      
  27 desselben, Gestalt und Bewegung), möglich sei. Auf diese Frage aber ist      
  28 es keinem Menschen möglich eine Antwort zu finden, und man kann diese      
  29 Lücke unseres Wissens niemals ausfüllen, sondern nur dadurch bezeichnen,      
  30 daß man die äußere Erscheinungen einem transscendentalen Gegenstande      
  31 zuschreibt, welcher die Ursache dieser Art Vorstellungen ist, den wir aber      
  32 gar nicht kennen, noch jemals einigen Begriff von ihm bekommen werden.      
  33 In allen Aufgaben, die im Felde der Erfahrung vorkommen mögen, behandeln      
  34 wir jene Erscheinungen als Gegenstände an sich selbst, ohne uns      
  35 um den ersten Grund ihrer Möglichkeit (als Erscheinungen) zu bekümmern.      
  36 Gehen wir aber über deren Gränze hinaus, so wird der Begriff eines      
  37 transscendentalen Gegenstandes nothwendig.      
           
     

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