Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 090

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gar kein Erkenntniß entspringen würde: so muß die Reproduction derselben      
  02 eine Regel haben, nach welcher eine Vorstellung vielmehr mit dieser,      
  03 als einer andern in der Einbildungskraft in Verbindung tritt. Diesen      
  04 subjectiven und empirischen Grund der Reproduction nach Regeln nennt      
  05 man die Association der Vorstellungen.      
           
  06 Würde nun aber diese Einheit der Association nicht auch einen objectiven      
  07 Grund haben, so daß es unmöglich wäre, daß Erscheinungen von      
  08 der Einbildungskraft anders apprehendirt würden, als unter der Bedingung      
  09 einer möglichen synthetischen Einheit dieser Apprehension, so würde      
  10 es auch etwas ganz Zufälliges sein, daß sich Erscheinungen in einen Zusammenhang      
  11 der menschlichen Erkenntnisse schickten. Denn ob wir gleich      
  12 das Vermögen hätten, Wahrnehmungen zu associiren, so bliebe es doch      
  13 an sich ganz unbestimmt und zufällig, ob sie auch associabel wären; und      
  14 in dem Falle, daß sie es nicht wären, so würde eine Menge Wahrnehmungen      
  15 und auch wohl eine ganze Sinnlichkeit möglich sein, in welcher      
  16 viel empirisches Bewußtsein in meinem Gemüth anzutreffen wäre, aber      
  17 getrennt und ohne daß es zu einem Bewußtsein meiner selbst gehörte,      
  18 welches aber unmöglich ist. Denn nur dadurch, daß ich alle Wahrnehmungen      
  19 zu einem Bewußtsein (der ursprünglichen Apperception) zähle, kann ich      
  20 bei allen Wahrnehmungen sagen: daß ich mir ihrer bewußt sei. Es mu      
  21 also ein objectiver, d. i. vor allen empirischen Gesetzen der Einbildungskraft      
  22 a priori einzusehender, Grund sein, worauf die Möglichkeit, ja sogar      
  23 die Nothwendigkeit eines durch alle Erscheinungen sich erstreckenden Gesetzes      
  24 beruht, sie nämlich durchgängig als solche Data der Sinne anzusehen,      
  25 welche an sich associabel und allgemeinen Regeln einer durchgängigen Verknüpfung      
  26 in der Reproduction unterworfen sind. Diesen objectiven Grund      
  27 aller Association der Erscheinungen nenne ich die Affinität derselben.      
  28 Diesen können wir aber nirgends anders, als in dem Grundsatze von der      
  29 Einheit der Apperception in Ansehung aller Erkenntnisse, die mir angehören      
  30 sollen, antreffen. Nach diesem müssen durchaus alle Erscheinungen      
  31 so ins Gemüth kommen oder apprehendirt werden, daß sie zur Einheit      
  32 der Apperception zusammenstimmen, welches ohne synthetische Einheit in      
  33 ihrer Verknüpfung, die mithin auch objectiv nothwendig ist, unmöglich      
  34 sein würde.      
           
  35 Die objective Einheit alles (empirischen) Bewußtseins in einem Bewußtsein      
  36 (der ursprünglichen Apperception) ist also die nothwendige Bedingung      
  37 sogar aller möglichen Wahrnehmung, und die Affinität aller Erscheinungen      
           
     

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