Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 045 |
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| 01 | Sinnen, doch in der Anschauung so und nicht anders bestimmt ist. Nehmen | ||||||
| 02 | wir aber dieses Empirische überhaupt und fragen, ohne uns an die | ||||||
| 03 | Einstimmung desselben mit jedem Menschensinne zu kehren, ob auch dieses | ||||||
| 04 | einen Gegenstand an sich selbst (nicht die Regentropfen, denn die sind | ||||||
| 05 | dann schon als Erscheinungen empirische Objecte) vorstelle: so ist die | ||||||
| 06 | Frage von der Beziehung der Vorstellung auf den Gegenstand transscendental, | ||||||
| 07 | und nicht allein diese Tropfen sind bloße Erscheinungen, sondern | ||||||
| 08 | selbst ihre runde Gestalt, ja sogar der Raum, in welchem sie fallen, sind | ||||||
| 09 | nichts an sich selbst, sondern bloße Modificationen oder Grundlagen unserer | ||||||
| 10 | sinnlichen Anschauung; das transscendentale Object aber bleibt uns | ||||||
| 11 | unbekannt. | ||||||
| 12 | Die zweite wichtige Angelegenheit unserer transscendentalen Ästhetik | ||||||
| 13 | ist, daß sie nicht blos als scheinbare Hypothese einige Gunst erwerbe, sondern | ||||||
| 14 | so gewiß und ungezweifelt sei, als jemals von einer Theorie gefordert | ||||||
| 15 | werden kann, die zum Organon dienen soll. Um diese Gewißheit | ||||||
| 16 | völlig einleuchtend zu machen, wollen wir irgend einen Fall wählen, woran | ||||||
| 17 | dessen Gültigkeit augenscheinlich werden kann. | ||||||
| 18 | Setzet demnach, Raum und Zeit seien an sich selbst objectiv und Bedingungen | ||||||
| 19 | der Möglichkeit der Dinge an sich selbst, so zeigt sich erstlich: | ||||||
| 20 | daß von beiden a priori apodiktische und synthetische Sätze in großer Zahl, | ||||||
| 21 | vornehmlich vom Raum, vorkommen, welchen wir darum vorzüglich hier | ||||||
| 22 | zum Beispiel untersuchen wollen. Da die Sätze der Geometrie synthetisch | ||||||
| 23 | a priori, und mit apodiktischer Gewißheit erkannt werden, so frage ich: | ||||||
| 24 | woher nehmt ihr dergleichen Sätze, und worauf stützt sich unser Verstand, | ||||||
| 25 | um zu dergleichen schlechthin nothwendigen und allgemein gültigen Wahrheiten | ||||||
| 26 | zu gelangen? Es ist kein anderer Weg, als durch Begriffe oder | ||||||
| 27 | durch Anschauungen; beide aber als solche, die entweder a priori oder | ||||||
| 28 | a posteriori gegeben sind. Die letztere, nämlich empirische Begriffe, imgleichen | ||||||
| 29 | das, worauf sie sich gründen, die empirische Anschauung, können | ||||||
| 30 | keinen synthetischen Satz geben, als nur einen solchen, der auch blos empirisch, | ||||||
| 31 | d. i. ein Erfahrungssatz ist, mithin niemals Nothwendigkeit und | ||||||
| 32 | absolute Allgemeinheit enthalten kann, dergleichen doch das Charakteristische | ||||||
| 33 | aller Sätze der Geometrie ist. Was aber das erstere und einzige | ||||||
| 34 | Mittel sein würde, nämlich durch bloße Begriffe oder durch Anschauungen | ||||||
| 35 | a priori zu dergleichen Erkenntnissen zu gelangen, so ist klar, daß aus | ||||||
| 36 | bloßen Begriffen gar keine synthetische Erkenntniß, sondern lediglich analytische | ||||||
| 37 | erlangt werden kann. Nehmet nur den Satz, daß durch zwei gerade | ||||||
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