Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 044 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | Körpers in der Anschauung gar nichts, was einem Gegenstande an sich | ||||||
| 02 | selbst zukommen könnte, sondern blos die Erscheinung von Etwas und die | ||||||
| 03 | Art, wie wir dadurch afficirt werden; und diese Receptivität unserer Erkenntnißfähigkeit | ||||||
| 04 | heißt Sinnlichkeit und bleibt von der Erkenntniß des | ||||||
| 05 | Gegenstandes an sich selbst, ob man jene (die Erscheinung) gleich bis auf | ||||||
| 06 | den Grund durchschauen möchte, dennoch himmelweit unterschieden. | ||||||
| 07 | Die Leibniz=Wolffische Philosophie hat daher allen Untersuchungen | ||||||
| 08 | über die Natur und den Ursprung unserer Erkenntnisse einen ganz unrechten | ||||||
| 09 | Gesichtspunkt angewiesen, indem sie den Unterschied der Sinnlichkeit | ||||||
| 10 | vom Intellectuellen blos als logisch betrachtete, da er offenbar transscendental | ||||||
| 11 | ist und nicht blos die Form der Deutlichkeit oder Undeutlichkeit, | ||||||
| 12 | sondern den Ursprung und den Inhalt derselben betrifft, so daß wir | ||||||
| 13 | durch die erstere die Beschaffenheit der Dinge an sich selbst nicht blos undeutlich, | ||||||
| 14 | sondern gar nicht erkennen, und so bald wir unsre subjective | ||||||
| 15 | Beschaffenheit wegnehmen, das vorgestellte Objekt mit den Eigenschaften, | ||||||
| 16 | die ihm die sinnliche Anschauung beilegte, überall nirgend anzutreffen ist, | ||||||
| 17 | noch angetroffen werden kann, indem eben diese subjective Beschaffenheit | ||||||
| 18 | die Form desselben als Erscheinung bestimmt. | ||||||
| 19 | Wir unterscheiden sonst wohl unter Erscheinungen das, was der Anschauung | ||||||
| 20 | derselben wesentlich anhängt und für jeden menschlichen Sinn | ||||||
| 21 | überhaupt gilt, von demjenigen, was derselben nur zufälliger Weise zukommt, | ||||||
| 22 | indem es nicht auf die Beziehung der Sinnlichkeit überhaupt, | ||||||
| 23 | sondern nur auf eine besondre Stellung oder Organisation dieses oder | ||||||
| 24 | jenes Sinnes gültig ist. Und da nennt man die erstere Erkenntniß eine | ||||||
| 25 | solche, die den Gegenstand an sich selbst vorstellt, die zweite aber nur die | ||||||
| 26 | Erscheinung desselben. Dieser Unterschied ist aber nur empirisch. Bleibt | ||||||
| 27 | man dabei stehen (wie es gemeiniglich geschieht) und sieht jene empirische | ||||||
| 28 | Anschauung nicht wiederum (wie es geschehen sollte) als bloße Erscheinung | ||||||
| 29 | an, so daß darin gar nichts, was irgend eine Sache an sich selbst anginge, | ||||||
| 30 | anzutreffen ist, so ist unser transscendentaler Unterschied verloren, und | ||||||
| 31 | wir glauben alsdann doch, Dinge an sich zu erkennen, ob wir es gleich | ||||||
| 32 | überall (in der Sinnenwelt), selbst bis zu der tiefsten Erforschung ihrer | ||||||
| 33 | Gegenstände, mit nichts als Erscheinungen zu thun haben. So werden | ||||||
| 34 | wir zwar den Regenbogen eine bloße Erscheinung bei einem Sonnregen | ||||||
| 35 | nennen, diesen Regen aber die Sache an sich selbst, welches auch richtig | ||||||
| 36 | ist, so fern wir den letztern Begriff nur physisch verstehen als das, was | ||||||
| 37 | in der allgemeinen Erfahrung unter allen verschiedenen Lagen zu den | ||||||
| [ Seite 043 ] [ Seite 045 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||