Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 550 |
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| 01 | Der transscendentalen Methodenlehre |
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| 02 | Viertes Hauptstück. |
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| 03 | Die Geschichte der reinen Vernunft. |
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| 04 | Dieser Titel steht nur hier, um eine Stelle zu bezeichnen, die im | ||||||
| 05 | System übrig bleibt und künftig ausgefüllt werden muß. Ich begnüge | ||||||
| 06 | mich, aus einem bloß transscendentalen Gesichtspunkte, nämlich der Natur | ||||||
| 07 | der reinen Vernunft, einen flüchtigen Blick auf das Ganze der bisherigen | ||||||
| 08 | Bearbeitungen derselben zu werfen, welches freilich meinem Auge | ||||||
| 09 | zwar Gebäude, aber nur in Ruinen vorstellt. | ||||||
| 10 | Es ist merkwürdig genug, ob es gleich natürlicherweise nicht anders | ||||||
| 11 | zugehen konnte, daß die Menschen im Kindesalter der Philosophie davon | ||||||
| 12 | anfingen, wo wir jetzt lieber endigen möchten, nämlich zuerst die Erkenntniß | ||||||
| 13 | Gottes und die Hoffnung oder wohl gar die Beschaffenheit einer andern | ||||||
| 14 | Welt zu studiren. Was auch die alten Gebräuche, die noch von dem | ||||||
| 15 | rohen Zustande der Völker übrig waren, für grobe Religionsbegriffe eingeführt | ||||||
| 16 | haben mochten, so hinderte dieses doch nicht den aufgeklärtern | ||||||
| 17 | Theil, sich freien Nachforschungen über diesen Gegenstand zu widmen, und | ||||||
| 18 | man sah leicht ein, daß es keine gründliche und zuverlässigere Art geben | ||||||
| 19 | könne, der unsichtbaren Macht, die die Welt regiert, zu gefallen, um wenigstens | ||||||
| 20 | in einer andern Welt glücklich zu sein, als den guten Lebenswandel. | ||||||
| 21 | Daher waren Theologie und Moral die zwei Triebfedern, oder besser Beziehungspunkte | ||||||
| 22 | zu allen abgezogenen Vernunftforschungen, denen man | ||||||
| 23 | sich nachher jederzeit gewidmet hat. Die erstere war indessen eigentlich das, | ||||||
| 24 | was die bloß speculative Vernunft nach und nach in das Geschäfte zog, | ||||||
| 25 | welches in der Folge unter dem Namen der Metaphysik so berühmt geworden. | ||||||
| 27 | Ich will jetzt die Zeiten nicht unterscheiden, auf welche diese oder jene | ||||||
| 28 | Veränderung der Metaphysik traf, sondern nur die Verschiedenheit der | ||||||
| 29 | Idee, welche die hauptsächlichsten Revolutionen veranlaßte, in einem | ||||||
| 30 | flüchtigen Abrisse darstellen. Und da finde ich eine dreifache Absicht, in | ||||||
| 31 | welcher die namhaftesten Veränderungen auf dieser Bühne des Streits gestiftet | ||||||
| 32 | worden. | ||||||
| 33 | 1. In Ansehung des Gegenstandes aller unserer Vernunfterkenntnisse | ||||||
| 34 | waren einige bloß Sensual=, andere bloß Intellectualphilosophen. | ||||||
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