Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 544 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | scheinbare) philosophische Erkenntniß aus reiner Vernunft im systematischen | ||||||
| 02 | Zusammenhange, und heißt Metaphysik; wiewohl dieser Name | ||||||
| 03 | auch der ganzen reinen Philosophie mit Inbegriff der Kritik gegeben werden | ||||||
| 04 | kann, um sowohl die Untersuchung alles dessen, was jemals a priori | ||||||
| 05 | erkannt werden kann, als auch die Darstellung desjenigen, was ein System | ||||||
| 06 | reiner philosophischen Erkenntnisse dieser Art ausmacht, von allem | ||||||
| 07 | empirischen aber, imgleichen dem mathematischen Vernunftgebrauche unterschieden | ||||||
| 08 | ist, zusammenzufassen. | ||||||
| 09 | Die Metaphysik theilt sich in die des speculativen und praktischen | ||||||
| 10 | Gebrauchs der reinen Vernunft und ist also entweder Metaphysik der | ||||||
| 11 | Natur, oder Metaphysik der Sitten. Jene enthält alle reine Vernunftprincipien | ||||||
| 12 | aus bloßen Begriffen (mithin mit Ausschließung der | ||||||
| 13 | Mathematik) von dem theoretischen Erkenntnisse aller Dinge; diese die | ||||||
| 14 | Principien, welche das thun und lassen a priori bestimmen und nothwendig | ||||||
| 15 | machen. Nun ist die Moralität die einzige Gesetzmäßigkeit der | ||||||
| 16 | Handlungen, die völlig a priori, aus Principien, abgeleitet werden kann. | ||||||
| 17 | Daher ist die Metaphysik der Sitten eigentlich die reine Moral, in welcher | ||||||
| 18 | keine Anthropologie (keine empirische Bedingung) zum Grunde gelegt | ||||||
| 19 | wird. Die Metaphysik der speculativen Vernunft ist nun das, was man | ||||||
| 20 | im engeren Verstande Metaphysik zu nennen pflegt; so fern aber reine | ||||||
| 21 | Sittenlehre doch gleichwohl zu dem besonderen Stamme menschlicher und | ||||||
| 22 | zwar philosophischer Erkenntniß aus reiner Vernunft gehört, so wollen | ||||||
| 23 | wir ihr jene Benennung erhalten, obgleich wir sie, als zu unserm Zwecke | ||||||
| 24 | jetzt nicht gehörig, hier bei Seite setzen. | ||||||
| 25 | Es ist von der äußersten Erheblichkeit, Erkenntnisse, die ihrer Gattung | ||||||
| 26 | und Ursprunge nach von andern unterschieden sind, zu isoliren und | ||||||
| 27 | sorgfältig zu verhüten, daß sie nicht mit andern, mit welchen sie im Gebrauche | ||||||
| 28 | gewöhnlich verbunden sind, in ein Gemisch zusammenfließen. Was | ||||||
| 29 | Chemiker beim Scheiden der Materien, was Mathematiker in ihrer reinen | ||||||
| 30 | Größenlehre thun, das liegt noch weit mehr den Philosophen ob, damit er | ||||||
| 31 | den Antheil, den eine besondere Art der Erkenntniß am herumschweifenden | ||||||
| 32 | Verstandesgebrauch hat, ihren eigenen Werth und Einfluß sicher bestimmen | ||||||
| 33 | könne. Daher hat die menschliche Vernunft seitdem, daß sie gedacht, | ||||||
| 34 | oder vielmehr nachgedacht hat, niemals einer Metaphysik entbehren, | ||||||
| 35 | aber gleichwohl sie nicht genugsam geläutert von allem Fremdartigen darstellen | ||||||
| 36 | können. Die Idee einer solchen Wissenschaft ist eben so alt, als | ||||||
| 37 | speculative Menschenvernunft; und welche Vernunft speculirt nicht, es mag | ||||||
| [ Seite 543 ] [ Seite 545 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||