Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 532

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Hat es nur in der besonderen Beschaffenheit des Subjects seinen Grund,      
  02 so wird es Überredung genannt.      
           
  03 Überredung ist ein bloßer Schein, weil der Grund des Urtheils, welcher      
  04 lediglich im Subjecte liegt, für objectiv gehalten wird. Daher hat ein      
  05 solches Urtheil auch nur Privatgültigkeit, und das Fürwahrhalten läßt      
  06 sich nicht mittheilen. Wahrheit aber beruht auf der Übereinstimmung mit      
  07 dem Objecte, in Ansehung dessen folglich die Urtheile eines jeden Verstandes      
  08 einstimmig sein müssen ( consentientia uni tertio consentiunt inter      
  09 se ). Der Probirstein des Fürwahrhaltens, ob es Überzeugung oder      
  10 bloße Überredung sei, ist also äußerlich die Möglichkeit, dasselbe mitzutheilen,      
  11 und das Fürwahrhalten für jedes Menschen Vernunft gültig zu      
  12 befinden; denn alsdann ist wenigstens eine Vermuthung, der Grund der      
  13 Einstimmung aller Urtheile ungeachtet der Verschiedenheit der Subjecte      
  14 unter einander werde auf dem gemeinschaftlichen Grunde, nämlich dem      
  15 Objecte, beruhen, mit welchem sie daher alle zusammenstimmen und dadurch      
  16 die Wahrheit des Urtheils beweisen werden.      
           
  17 Überredung demnach kann von der Überzeugung subjectiv zwar nicht      
  18 unterschieden werden, wenn das Subject das Fürwahrhalten bloß als Erscheinung      
  19 seines eigenen Gemüths vor Augen hat; der Versuch aber, den      
  20 man mit den Gründen desselben, die für uns gültig sind, an anderer Verstand      
  21 macht, ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung thun, als      
  22 auf die unsrige, ist doch ein, obzwar nur subjectives Mittel, zwar nicht      
  23 Überzeugung zu bewirken, aber doch die bloße Privatgültigkeit des Urtheils,      
  24 d. i. etwas in ihm, was bloße Überredung ist, zu entdecken.      
           
  25 Kann man überdem die subjectiven Ursachen des Urtheils, welche      
  26 wir für objective Gründe desselben nehmen, entwickeln und mithin das      
  27 trügliche Fürwahrhalten als eine Begebenheit in unserem Gemüthe erklären,      
  28 ohne dazu die Beschaffenheit des Objects nöthig zu haben: so entblößen      
  29 wir den Schein und werden dadurch nicht mehr hintergangen, obgleich      
  30 immer noch in gewissem Grade versucht, wenn die subjective Ursache des      
  31 Scheins unserer Natur anhängt.      
           
  32 Ich kann nichts behaupten, d. i. als ein für jedermann nothwendig      
  33 gültiges Urtheil aussprechen, als was Überzeugung wirkt. Überredung      
  34 kann ich für mich behalten, wenn ich mich dabei wohl befinde, kann      
  35 sie aber und soll sie außer mir nicht geltend machen wollen.      
           
  36 Das Fürwahrhalten oder die subjective Gültigkeit des Urtheils in      
  37 Beziehung auf die Überzeugung (welche zugleich objectiv gilt) hat folgende      
           
     

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