Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 458 |
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| 01 | ein uns unbekanntes Substratum der systematischen Einheit, Ordnung | ||||||
| 02 | und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung ist, welche sich die Vernunft zum | ||||||
| 03 | regulativen Princip ihrer Naturforschung machen muß. Noch mehr, wir | ||||||
| 04 | können in dieser Idee gewisse Anthropomorphismen, die dem gedachten regulativen | ||||||
| 05 | Princip beförderlich sind, ungescheut und ungetadelt erlauben. | ||||||
| 06 | Denn es ist immer nur eine Idee, die gar nicht direct auf ein von der Welt | ||||||
| 07 | unterschiedenes Wesen, sondern auf das regulative Princip der systematischen | ||||||
| 08 | Einheit der Welt, aber nur vermittelst eines Schema derselben, | ||||||
| 09 | nämlich einer obersten Intelligenz, die nach weisen Absichten Urheber derselben | ||||||
| 10 | sei, bezogen wird. Was dieser Urgrund der Welteinheit an sich selbst | ||||||
| 11 | sei, hat dadurch nicht gedacht werden sollen, sondern wie wir ihn, oder vielmehr | ||||||
| 12 | seine Idee relativ auf den systematischen Gebrauch der Vernunft in | ||||||
| 13 | Ansehung der Dinge der Welt brauchen sollen. | ||||||
| 14 | Auf solche Weise aber können wir doch (wird man fortfahren zu | ||||||
| 15 | fragen) einen einigen, weisen und allgewaltigen Welturheber annehmen? | ||||||
| 16 | Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, sondern wir müssen einen | ||||||
| 17 | solchen voraussetzen. Aber alsdann erweitern wir doch unsere Erkenntniß | ||||||
| 18 | über das Feld möglicher Erfahrung? Keinesweges. Denn wir haben | ||||||
| 19 | nur ein Etwas vorausgesetzt, wovon wir gar keinen Begriff haben, was | ||||||
| 20 | es an sich selbst sei (einen bloß transscendentalen Gegenstand); aber in | ||||||
| 21 | Beziehung auf die systematische und zweckmäßige Ordnung des Weltbaues, | ||||||
| 22 | welche wir, wenn wir die Natur studiren, voraussetzen müssen, haben wir | ||||||
| 23 | jenes uns unbekannte Wesen nur nach der Analogie mit einer Intelligenz | ||||||
| 24 | (ein empirischer Begriff) gedacht, d. i. es in Ansehung der Zwecke | ||||||
| 25 | und der Vollkommenheit, die sich auf demselben gründen, gerade mit den | ||||||
| 26 | Eigenschaften begabt, die nach den Bedingungen unserer Vernunft den | ||||||
| 27 | Grund einer solchen systematischen Einheit enthalten können. Diese Idee | ||||||
| 28 | ist also respectiv auf den Weltgebrauch unserer Vernunft ganz gegründet. | ||||||
| 29 | Wollten wir ihr aber schlechthin objective Gültigkeit ertheilen, | ||||||
| 30 | so würden wir vergessen, daß es lediglich ein Wesen in der Idee sei, das | ||||||
| 31 | wir denken; und indem wir alsdann von einem durch die Weltbetrachtung | ||||||
| 32 | gar nicht bestimmbaren Grunde anfingen, würden wir dadurch außer | ||||||
| 33 | Stand gesetzt, dieses Princip dem empirischen Vernunftgebrauch angemessen | ||||||
| 34 | anzuwenden. | ||||||
| 35 | Aber (wird man ferner fragen) auf solche Weise kann ich doch von | ||||||
| 36 | dem Begriffe und der Voraussetzung eines höchsten Wesens in der vernünftigen | ||||||
| 37 | Weltbetrachtung Gebrauch machen? Ja, dazu war auch eigentlich | ||||||
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