Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 416 |
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| 01 | sie nicht aus jeder grüblerischen Unentschlossenheit, gleich als aus einem | ||||||
| 02 | Traume, durch einen Blick, den sie auf die Wunder der Natur und der | ||||||
| 03 | Majestät des Weltbaues wirft, gerissen werden sollte, um sich von Größe | ||||||
| 04 | zu Größe bis zur allerhöchsten, vom Bedingten zur Bedingung bis zum | ||||||
| 05 | obersten und unbedingten Urheber zu erheben. | ||||||
| 06 | Ob wir aber gleich wider die Vernunftmäßigkeit und Nützlichkeit | ||||||
| 07 | dieses Verfahrens nichts einzuwenden, sondern es vielmehr zu empfehlen | ||||||
| 08 | und aufzumuntern haben, so können wir darum doch die Ansprüche nicht | ||||||
| 09 | billigen, welche diese Beweisart auf apodiktische Gewißheit und auf einen | ||||||
| 10 | gar keiner Gunst oder fremden Unterstützung bedürftigen Beifall machen | ||||||
| 11 | möchte; und es kann der guten Sache keinesweges schaden, die dogmatische | ||||||
| 12 | Sprache eines hohnsprechenden Vernünftlers auf den Ton der Mäßigung | ||||||
| 13 | und Bescheidenheit eines zur Beruhigung hinreichenden, obgleich | ||||||
| 14 | eben nicht unbedingte Unterwerfung gebietenden Glaubens herabzustimmen. | ||||||
| 15 | Ich behaupte demnach, daß der physikotheologische Beweis das | ||||||
| 16 | Dasein eines höchsten Wesens niemals allein darthun könne, sondern es | ||||||
| 17 | jederzeit dem ontologischen (welchem er nur zur Introduction dient) überlassen | ||||||
| 18 | müsse, diesen Mangel zu ergänzen, mithin dieser immer noch den | ||||||
| 19 | einzig möglichen Beweisgrund (wofern überall nur ein speculativer | ||||||
| 20 | Beweis stattfindet) enthalte, den keine menschliche Vernunft vorbeigehen | ||||||
| 21 | kann. | ||||||
| 22 | Die Hauptmomente des gedachten physischtheologischen Beweises sind | ||||||
| 23 | folgende: 1) In der Welt finden sich allerwärts deutliche Zeichen einer | ||||||
| 24 | Anordnung nach bestimmter Absicht, mit großer Weisheit ausgeführt | ||||||
| 25 | und in einem Ganzen von unbeschreiblicher Mannigfaltigkeit des Inhalts | ||||||
| 26 | sowohl, als auch unbegrenzter Größe des Umfangs. 2) Den Dingen der | ||||||
| 27 | Welt ist diese zweckmäßige Anordnung ganz fremd und hängt ihnen nur | ||||||
| 28 | zufällig an, d. i. die Natur verschiedener Dinge konnte von selbst durch so | ||||||
| 29 | vielerlei sich vereinigende Mittel zu bestimmten Endabsichten nicht zusammenstimmen, | ||||||
| 30 | wären sie nicht durch ein anordnendes vernünftiges | ||||||
| 31 | Princip nach zum Grunde liegenden Ideen dazu ganz eigentlich gewählt | ||||||
| 32 | und angelegt worden. 3) Es existirt also eine erhabene und weise Ursache | ||||||
| 33 | (oder mehrere), die nicht bloß als blindwirkende allvermögende Natur | ||||||
| 34 | durch Fruchtbarkeit, sondern als Intelligenz durch Freiheit die Ursache | ||||||
| 35 | der Welt sein muß. 4) Die Einheit derselben läßt sich aus der Einheit | ||||||
| 36 | der wechselseitigen Beziehung der Theile der Welt als Glieder von | ||||||
| 37 | einem künstlichen Bauwerk an demjenigen, wohin unsere Beobachtung | ||||||
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