| Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 230 | |||||||
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| 01 | doch unsere Functionen zu denken in Ansehung derselben von gar keiner | ||||||
| 02 | Bedeutung sein. Verstehen wir darunter nur Gegenstände einer nichtsinnlichen | ||||||
| 03 | Anschauung, von denen unsere Kategorien zwar freilich nicht | ||||||
| 04 | gelten, und von denen wir also gar keine Erkenntniß (weder Anschauung, | ||||||
| 05 | noch Begriff) jemals haben können, so müssen Noumena in dieser bloß | ||||||
| 06 | negativen Bedeutung allerdings zugelassen werden: da sie denn nichts | ||||||
| 07 | anders sagen als, daß unsere Art der Anschauung nicht auf alle Dinge, | ||||||
| 08 | sondern bloß auf Gegenstände unserer Sinne geht, folglich ihre objective | ||||||
| 09 | Gültigkeit begrenzt ist, und mithin für irgend eine andere Art Anschauung | ||||||
| 10 | und also auch für Dinge als Objecte derselben Platz übrig bleibt. Aber | ||||||
| 11 | alsdann ist der Begriff eines Noumenon problematisch, d. i. die Vorstellung | ||||||
| 12 | eines Dinges, von dem wir weder sagen können, daß es möglich, | ||||||
| 13 | noch daß es unmöglich sei, indem wir gar keine Art der Anschauung als | ||||||
| 14 | unsere sinnliche kennen und keine Art der Begriffe als die Kategorien, | ||||||
| 15 | keine von beiden aber einem außersinnlichen Gegenstande angemessen ist. | ||||||
| 16 | Wir können daher das Feld der Gegenstände unseres Denkens über die | ||||||
| 17 | Bedingungen unserer Sinnlichkeit darum noch nicht positiv erweitern und | ||||||
| 18 | außer den Erscheinungen noch Gegenstände des reinen Denkens, d. i. Noumena | ||||||
| 19 | annehmen, weil jene keine anzugebende positive Bedeutung haben. | ||||||
| 20 | Denn man muß von den Kategorien eingestehen: daß sie allein noch nicht | ||||||
| 21 | zur Erkenntniß der Dinge an sich selbst zureichen und ohne die data der | ||||||
| 22 | Sinnlichkeit bloß subjective Formen der Verstandeseinheit, aber ohne | ||||||
| 23 | Gegenstand sein würden. Das Denken ist zwar an sich kein Product der | ||||||
| 24 | Sinne und so fern durch sie auch nicht eingeschränkt, aber darum nicht sofort | ||||||
| 25 | von eigenem und reinem Gebrauche ohne Beitritt der Sinnlichkeit, | ||||||
| 26 | weil es alsdann ohne Object ist. Man kann auch das Noumenon nicht | ||||||
| 27 | ein solches Object nennen; denn dieses bedeutet eben den problematischen | ||||||
| 28 | Begriff von einem Gegenstande für eine ganz andere Anschauung und | ||||||
| 29 | einen ganz anderen Verstand als der unsrige, der mithin selbst ein Problem | ||||||
| 30 | ist. Der Begriff des Noumenon ist also nicht der Begriff von einem | ||||||
| 31 | Object, sondern die unvermeidlich mit der Einschränkung unserer Sinnlichkeit | ||||||
| 32 | zusammenhängende Aufgabe, ob es nicht von jener ihrer Anschauung | ||||||
| 33 | ganz entbundene Gegenstände geben möge, welche Frage nur unbestimmt | ||||||
| 34 | beantwortet werden kann, nämlich: daß, weil die sinnliche Anschauung | ||||||
| 35 | nicht auf alle Dinge ohne Unterschiede geht, für mehr und andere | ||||||
| 36 | Gegenstände Platz übrig bleibe, sie also nicht schlechthin abgeleugnet, in | ||||||
| 37 | Ermangelung eines bestimmten Begriffs aber (da keine Kategorie dazu | ||||||
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