Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 110

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gegebene Vorstellungen gehören mir insgesammt zu, heißt demnach      
  02 so viel, als ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein, oder kann sie      
  03 wenigstens darin vereinigen; und ob er gleich selbst noch nicht das Bewußtsein      
  04 der Synthesis der Vorstellungen ist, so setzt er doch die Möglichkeit      
  05 der letzteren voraus, d. i. nur dadurch, daß ich das Mannigfaltige      
  06 derselben in einem Bewußtsein begreifen kann, nenne ich dieselbe insgesammt      
  07 meine Vorstellungen; denn sonst würde ich ein so vielfärbiges,      
  08 verschiedenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt      
  09 bin. Synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen,      
  10 als a priori gegeben, ist also der Grund der Identität der Apperception      
  11 selbst, die a priori allem meinem bestimmten Denken vorhergeht. Verbindung      
  12 liegt aber nicht in den Gegenständen und kann von ihnen nicht      
  13 etwa durch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst      
  14 aufgenommen werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes,      
  15 der selbst nichts weiter ist als das Vermögen, a priori zu verbinden und      
  16 das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperception      
  17 zu bringen, welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen      
  18 Erkenntniß ist.      
           
  19 Dieser Grundsatz der nothwendigen Einheit der Apperception ist nun      
  20 zwar selbst identisch, mithin ein analytischer Satz, erklärt aber doch eine      
  21 Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als nothwendig,      
  22 ohne welche jene durchgängige Identität des Selbstbewußtseins      
  23 nicht gedacht werden kann. Denn durch das Ich als einfache Vorstellung      
  24 ist nichts Mannigfaltiges gegeben; in der Anschauung, die davon unterschieden      
  25 ist, kann es nur gegeben und durch Verbindung in einem Bewußtsein      
  26 gedacht werden. Ein Verstand, in welchem durch das Selbstbewußtsein      
  27 zugleich alles Mannigfaltige gegeben würde, würde anschauen;      
  28 der unsere kann nur denken und muß in den Sinnen die Anschauung      
  29 suchen. Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt in Ansehung des      
  30 Mannigfaltigen der mir in einer Anschauung gegebenen Vorstellungen,      
  31 weil ich sie insgesammt meine Vorstellungen nenne, die eine ausmachen.      
  32 Das ist aber so viel, als daß ich mir einer nothwendigen Synthesis derselben      
  33 a priori bewußt bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit      
  34 der Apperception heißt, unter der alle mir gegebene Vorstellungen stehen,      
  35 aber unter die sie auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen.      
           
           
     

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