Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 013

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 desjenigen abgeben, was wir als die veränderte Methode der      
  02 Denkungsart annehmen, daß wir nämlich von den Dingen nur das a priori      
  03 erkennen, was wir selbst in sie legen. *)      
           
  04 Dieser Versuch gelingt nach Wunsch und verspricht der Metaphysik      
  05 in ihrem ersten Theile, da sie sich nämlich mit Begriffen a priori beschäftigt,      
  06 davon die correspondirenden Gegenstände in der Erfahrung jenen      
  07 angemessen gegeben werden können, den sicheren Gang einer Wissenschaft.      
  08 Denn man kann nach dieser Veränderung der Denkart die Möglichkeit      
  09 einer Erkenntniß a priori ganz wohl erklären und, was noch mehr ist, die      
  10 Gesetze, welche a priori der Natur, als dem Inbegriffe der Gegenstände      
  11 der Erfahrung, zum Grunde liegen, mit ihren genugthuenden Beweisen      
  12 versehen, welches beides nach der bisherigen Verfahrungsart unmöglich      
  13 war. Aber es ergiebt sich aus dieser Deduction unseres Vermögens a priori      
  14 zu erkennen im ersten Theile der Metaphysik ein befremdliches und dem      
  15 ganzen Zwecke derselben, der den zweiten Theil beschäftigt, dem Anscheine      
  16 nach sehr nachtheiliges Resultat, nämlich daß wir mit ihm nie über die      
  17 Grenze möglicher Erfahrung hinauskommen können, welches doch gerade      
  18 die wesentlichste Angelegenheit dieser Wissenschaft ist. Aber hierin liegt      
  19 eben das Experiment einer Gegenprobe der Wahrheit des Resultats jener      
  20 ersten Würdigung unserer Vernunfterkenntniß a priori, daß sie nämlich      
  21 nur auf Erscheinungen gehe, die Sache an sich selbst dagegen zwar als      
  22 für sich wirklich, aber von uns unerkannt liegen lasse. Denn das, was      
  23 uns nothwendig über die Grenze der Erfahrung und aller Erscheinungen      
           
    *) Diese dem Naturforscher nachgeahmte Methode besteht also darin: die Elemente der reinen Vernunft in dem zu suchen, was sich durch ein Experiment bestätigen oder widerlegen läßt. Nun läßt sich zur Prüfung der Sätze der reinen Vernunft, vornehmlich wenn sie über alle Grenze möglicher Erfahrung hinaus gewagt werden, kein Experiment mit ihren Objecten machen (wie in der Naturwissenschaft): also wird es nur mit Begriffen und Grundsätzen, die wir a priori annehmen, thunlich sein, indem man sie nämlich so einrichtet, daß dieselben Gegenstände einerseits als Gegenstände der Sinne und des Verstandes für die Erfahrung, andererseits aber doch als Gegenstände, die man bloß denkt, allenfalls für die isolirte und über Erfahrungsgrenze hinausstrebende Vernunft, mithin von zwei verschiedenen Seiten betrachtet werden können. Findet es sich nun, daß, wenn man die Dinge aus jenem doppelten Gesichtspunkte betrachtet, Einstimmung mit dem Princip der reinen Vernunft stattfinde, bei einerlei Gesichtspunkte aber ein unvermeidlicher Widerstreit der Vernunft mit sich selbst entspringe, so entscheidet das Experiment für die Richtigkeit jener Unterscheidung.      
           
     

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