Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 158

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 etwas da ist, so existirt auch etwas, was von keinem andern      
  02 Dinge abhängt, alles regelmäßig gefolgert sei, ich gebe also zu, daß      
  03 das Dasein irgend eines oder mehrer Dinge, die weiter keine Wirkungen      
  04 von einem andern sind, wohl erwiesen darliege. Nun ist der zweite Schritt      
  05 zu dem Satze, daß dieses unabhängige Ding schlechterdings nothwendig      
  06 sei, schon viel weniger zuverlässig, da er vermittelst des Satzes      
  07 vom zureichenden Grunde, der noch immer angefochten wird, geführt werden      
  08 muß; allein ich trage kein Bedenken auch bis so weit alles zu unterschreiben.      
  09 Es existirt demnach etwas schlechterdings nothwendiger Weise.      
  10 Aus diesem Begriffe des absolut nothwendigen Wesens sollen nun seine      
  11 Eigenschaften der höchsten Vollkommenheit und Einheit hergeleitet werden.      
  12 Der Begriff der absoluten Nothwendigkeit aber, der hier zum Grunde      
  13 liegt, kann auf zwiefache Art genommen werden, wie in der ersten Abtheilung      
  14 gezeigt ist. In der ersten Art, da sie die logische Nothwendigkeit      
  15 von uns genannt worden, müßte gezeigt werden: daß das Gegentheil desjenigen      
  16 Dinges sich selbst widerspreche, in welchem alle Vollkommenheit      
  17 oder Realität anzutreffen, und also dasjenige Wesen einzig und allein      
  18 schlechterdings nothwendig im Dasein sei, dessen Prädicate alle wahrhaftig      
  19 bejahend sind. Und da aus eben derselben durchgängigen Vereinbarung      
  20 aller Realität in einem Wesen soll geschlossen werden, daß es ein      
  21 einziges sei, so ist klar, daß die Zergliederung der Begriffe des Nothwendigen      
  22 auf solchen Gründen beruhen werde, nach denen ich auch umgekehrt      
  23 müsse schließen können: worin alle Realität ist, das existirt nothwendiger      
  24 Weise. Nun ist nicht allein diese Schlußart nach der vorigen      
  25 Nummer unmöglich, sondern es ist insonderheit merkwürdig, daß auf diese      
  26 Art der Beweis gar nicht auf den Erfahrungsbegriff, der ganz, ohne ihn      
  27 zu brauchen, voraus gesetzt ist, erbauet wird, sondern eben so wie der Cartesianische      
  28 lediglich auf Begriffe, in welchen man in der Identität oder      
  29 dem Widerstreit der Prädicate das Dasein eines Wesens zu finden vermeint.*)      
           
           
    *) Dieses ist das Vornehmste, worauf ich hier ausgehe. Wenn ich die Nothwendigkeit eines Begriffes darin setze, daß sich das Gegentheil widerspricht, und alsdann behaupte, das Unendliche sei so beschaffen, so war es ganz unnöthig die Existenz des nothwendigen Wesens voraus zu setzen, indem sie schon aus dem Begriffe des Unendlichen folgt. Ja jene vorangeschickte Existenz ist in dem Beweise selbst völlig müßig. Denn da in dem Fortgang desselben der Begriff der Nothwendigkeit und Unendlichkeit als Wechselbegriffe angesehen werden, so wird wirklich darum aus der [Seitenumbruch] Existenz des Nothwendigen auf die Unendlichkeit geschlossen, weil das Unendliche (und zwar allein) nothwendig existirt.      
           
     

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