Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 125

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sei, und ich werde in der letzten Abtheilung Gründe meines Urtheils anführen.      
  02 Zum mindesten kann die zufällige Ordnung der Theile der Welt,      
  03 in so fern sie einen Ursprung aus Willkür anzeigt, gar nichts zum Beweise      
  04 davon beitragen. Z. E. An dem Bau eines Thiers sind Gliedmaßen      
  05 der sinnlichen Empfindung mit denen der willkürlichen Bewegung und      
  06 der Lebenstheile so künstlich verbunden, daß man boshaft sein muß (denn      
  07 so unvernüftig kann ein Mensch nicht sein) , so bald man darauf geführt      
  08 wird einen weisen Urheber zu verkennen, der die Materie, daraus ein      
  09 thierischer Körper zusammen gesetzt ist, in so vortreffliche Ordnung gebracht      
  10 hat. Mehr folgt hieraus gar nicht. Ob diese Materie für sich ewig      
  11 und unabhängig, oder auch von eben demselben Urheber hervorgebracht      
  12 sei, das ist darin gar nicht entschieden. Ganz anders aber fällt das Urtheil      
  13 aus, wenn man wahrnimmt, daß nicht alle Naturvollkommenheit      
  14 künstlich, sondern Regeln von großer Nutzbarkeit auch mit nothwendiger      
  15 Einheit verbunden sind, und diese Vereinbarung in den Möglichkeiten der      
  16 Dinge selbst liegt. Was soll man bei dieser Wahrnehmung urtheilen? Ist      
  17 diese Einheit, diese fruchtbare Wohlgereimtheit ohne Abhängigkeit von      
  18 einem weisen Urheber möglich? Das Formale so großer und vielfältiger      
  19 Regelmäßigkeit verbietet dieses. Weil indessen diese Einheit gleichwohl      
  20 selbst in den Möglichkeiten der Dinge gegründet ist, so muß ein weises      
  21 Wesen sein, ohne welches alle diese Naturdinge selbst nicht möglich sind,      
  22 und in welchem als einem großen Grunde sich die Wesen so mancher Naturdinge      
  23 zu so regelmäßigen Beziehungen vereinbaren. Alsdann aber ist      
  24 klar, daß nicht allein die Art der Verbindung, sondern die Dinge selbst      
  25 nur durch dieses Wesen möglich sind, das ist, nur als Wirkungen von ihm      
  26 existieren können, welches die völlige Abhängigkeit der Natur von Gott      
  27 allererst hinreichend zu erkennen giebt. Frägt man nun: wie hängen diese      
  28 Naturen von solchem Wesen ab, damit ich daraus die Übereinstimmung      
  29 mit den Regeln der Weisheit verstehen könne? Ich antworte: sie hängen      
  30 von demjenigen in diesem Wesen ab, was, indem es den Grund der Möglichkeit      
  31 der Dinge enthält, auch der Grund seiner eigenen Weisheit ist;      
  32 denn diese setzt überhaupt jene voraus.*) Bei dieser Einheit aber des      
           
    *) Die Weisheit setzt voraus: daß Übereinstimmung und Einheit in den Beziehungen möglich sei. Dasjenige Wesen, welches von völlig unabhängiger Natur ist, kann nur weise sein, in so fern in ihm Gründe, selbst solcher möglichen Harmonie und Vollkommenheiten, die seiner Ausführung sich darbieten, enthalten sind. Wäre in den Möglichkeiten der Dinge keine solche Beziehung auf Ordnung und Vollkommenheit      
           
     

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