Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 124

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 einen verständigen Urheber bezeichnet, noch ehe man daran denkt, ob diese      
  02 Beziehung den Dingen nothwendig oder zufällig sei. Nach den Urtheilen      
  03 der gemeinen gesunden Vernunft hat die Abfolge der Weltveränderungen,      
  04 oder diejenige Verknüpfung, an deren Stelle eine andere möglich war, ob      
  05 sie gleich einen klaren Beweisgrund der Zufälligkeit an die Hand giebt,      
  06 wenig Wirkung, dem Verstande die Vermuthung eines Urhebers zu veranlassen.      
  07 Es wird dazu Philosophie erfordert, und selbst deren Gebrauch      
  08 ist in diesem Falle verwickelt und schlüpferig. Dagegen macht große Regelmäßigkeit      
  09 und Wohlgereimtheit in einem vielstimmichten Harmonischen      
  10 stutzig, und die gemeine Vernunft selbst kann sie ohne einen verständigen      
  11 Urheber nimmer möglich finden. Die eine Regel der Anständigkeit mag      
  12 in der andern schon wesentlich liegen, oder willkürlich damit verbunden      
  13 sein, so findet man es gerade zu unmöglich, daß Ordnung und Regelmäßigkeit      
  14 entweder von Ungefähr, oder auch unter viel Dingen, die ihr      
  15 verschiedenes Dasein haben, so von selbst sollte statt finden, denn nimmermehr      
  16 ist ausgebreitete Harmonie ohne einen verständigen Grund ihrer      
  17 Möglichkeit nach zureichend gegeben. Und hier äußert sich alsbald ein      
  18 großer Unterschied zwischen der Art, wie man die Vollkommenheit ihrem      
  19 Ursprunge nach zu beurtheilen habe.      
           
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2.
     
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Nothwendige Ordnung der Natur bezeichnet selbst einen
     
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Urheber der Materie, die so geordnet ist.
     
           
  23 Die Ordnung in der Natur, in so fern sie als zufällig und aus der      
  24 Willkür eines verständigen Wesens entspringend angesehen wird, ist gar      
  25 kein Beweis davon, daß auch die Dinge der Natur, die in solcher Ordnung      
  26 nach Weisheit verknüpft sind, selbst von diesem Urheber ihr Dasein      
  27 haben. Denn lediglich diese Verbindung ist so bewandt, daß sie einen verständigen      
  28 Plan voraussetzt, daher auch Aristoteles und viele andere Philosophen      
  29 des Alterthums nicht die Materie oder den Stoff der Natur, sondern      
  30 nur die Form von der Gottheit herleiteten. Vielleicht nur seit der      
  31 Zeit, als uns die Offenbarung eine vollkommene Abhängigkeit der Welt      
  32 von Gott gelehrt hat, hat auch allererst die Weltweisheit die gehörige Bemühung      
  33 daran gewandt, den Ursprung der Dinge selbst, die den rohen      
  34 Zeug der Natur ausmachen, als so etwas zu betrachten, was ohne einen      
  35 Urheber nicht möglich sei. Ich zweifle, daß es jemanden hiemit gelungen      
           
     

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