Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 317

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 zur Vollkommenheit gebrachte Weltgebäude nach und nach zu seinem      
  02 Untergange hat, unter die Gründe rechnen, die es bewähren können,      
  03 daß das Universum dagegen in andern Gegenden an Welten fruchtbar      
  04 sein werde, um den Mangel zu ersetzen, den es an einem Orte      
  05 erlitten hat. Das ganze Stück der Natur, das wir kennen, ob es      
  06 gleich nur ein Atomus in Ansehung dessen ist, was über oder unter      
  07 unserem Gesichtskreise verborgen bleibt, bestätigt doch diese Fruchtbarkeit      
  08 der Natur, die ohne Schranken ist, weil sie nichts anders, als die      
  09 Ausübung der göttlichen Allmacht selber ist. Unzählige Thiere und      
  10 Pflanzen werden täglich zerstört und sind ein Opfer der Vergänglichkeit;      
  11 aber nicht weniger bringt die Natur durch ein unerschöpftes      
  12 Zeugungsvermögen an andern Orten wiederum hervor und füllt das      
  13 Leere aus. Beträchtliche Stücke des Erdbodens, den wir bewohnen,      
  14 werden wiederum in dem Meere begraben, aus dem sie ein günstiger      
  15 Periodus hervorgezogen hatte; aber an anderen Orten ergänzt die      
  16 Natur den Mangel und bringt andere Gegenden hervor, die in der      
  17 Tiefe des Wassers verborgen waren, um neue Reichthümer ihrer Fruchtbarkeit      
  18 über dieselbe auszubreiten. Auf die gleiche Art vergehen Welten      
  19 und Weltordnungen und werden von dem Abgrunde der Ewigkeiten      
  20 verschlungen; dagegen ist die Schöpfung immerfort geschäftig, in andern      
  21 Himmelsgegenden neue Bildungen zu verrichten und den Abgang mit      
  22 Vortheile zu ergänzen.      
           
  23 Man darf nicht erstaunen, selbst in dem Großen der Werke Gottes      
  24 eine Vergänglichkeit zu verstatten. Alles, was endlich ist, was einen      
  25 Anfang und Ursprung hat, hat das Merkmaal seiner eingeschränkten      
  26 Natur in sich; es muß vergehen und ein Ende haben. Die Dauer      
  27 eines Weltbaues hat durch die Vortrefflichkeit ihrer Errichtung eine      
  28 Beständigkeit in sich, die unsern Begriffen nach einer unendlichen Dauer      
  29 nahe kommt. Vielleicht werden tausend, vielleicht Millionen Jahrhunderte      
  30 sie nicht vernichten; allein weil die Eitelkeit, die an den endlichen      
  31 Naturen haftet, beständig an ihrer Zerstörung arbeitet, so wird      
  32 die Ewigkeit alle mögliche Perioden in sich halten, um durch einen      
  33 allmählichen Verfall den Zeitpunkt ihres Unterganges doch endlich herbei      
  34 zu führen. Newton, dieser große Bewunderer der Eigenschaften Gottes      
  35 aus der Vollkommenheit seiner Werke, der mit der tiefsten Einsicht in      
  36 die Trefflichkeit der Natur die größte Ehrfurcht gegen die Offenbarung      
  37 der göttlichen Allmacht verband, sah sich genöthigt, der Natur ihren      
           
     

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