Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 309

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 bedarf, auch durch keine Hinderniß kann aufgehalten werden, weil sie      
  02 in das Innerste der Materie ohne einigen Stoß selbst bei der allgemeinen      
  03 Ruhe der Natur wirkt, muß, sage ich, die Anziehung nicht      
  04 diese Fixsternen=Systemata ihrer unermeßlichen Entfernungen ungeachtet      
  05 bei der ungebildeten Zerstreuung ihres Stoffes im Anfange der      
  06 Regung der Natur in Bewegung versetzt haben, die eben so, wie wir      
  07 im Kleinen gesehen haben, die Quelle der systematischen Verbindung      
  08 und der dauerhaften Beständigkeit ihrer Glieder ist, die sie vor dem      
  09 Verfall sichert?      
           
  10 Aber welches wird denn endlich das Ende der systematischen      
  11 Einrichtungen sein? Wo wird die Schöpfung selber aufhören? Man      
  12 merkt wohl, daß, um sie in einem Verhältnisse mit der Macht des      
  13 unendlichen Wesens zu gedenken, sie gar keine Grenzen haben müsse.      
  14 Man kommt der Unendlichkeit der Schöpfungskraft Gottes nicht näher,      
  15 wenn man den Raum ihrer Offenbarung in einer Sphäre, mit dem      
  16 Radius der Milchstraße beschrieben, einschließt, als wenn man ihn in      
  17 eine Kugel beschränken will, die einen Zoll im Durchmesser hat. Alles,      
  18 was endlich, was seine Schranken und ein bestimmtes Verhältniß zur      
  19 Einheit hat, ist von dem Unendlichen gleich weit entfernt. Nun wäre      
  20 es ungereimt, die Gottheit mit einem unendlich kleinen Theile ihres      
  21 schöpferischen Vermögens in Wirksamkeit zu setzen und ihre unendliche      
  22 Kraft, den Schatz einer wahren Unermeßlichkeit von Naturen und      
  23 Welten, unthätig und in einem ewigen Mangel der Ausübung verschlossen      
  24 zu gedenken. Ist es nicht vielmehr anständiger, oder, besser      
  25 zu sagen, ist es nicht nothwendig, den Inbegriff der Schöpfung also      
  26 anzustellen, als er sein muß, um ein Zeugniß von derjenigen Macht      
  27 zu sein, die durch keinen Maßstab kann abgemessen werden? Aus      
  28 diesem Grunde ist das Feld der Offenbarung göttlicher Eigenschaften      
  29 eben so unendlich, als diese selber sind.*) Die Ewigkeit ist nicht hinlänglich,      
           
    *) Der Begriff einer unendlichen Ausdehnung der Welt findet unter den Metaphysikkündigern Gegner und hat nur neulich an dem Herrn M. Weitenkampf einen gefunden. Wenn diese Herren wegen der angeblichen Unmöglichkeit einer Menge ohne Zahl und Grenzen sich zu dieser Idee nicht beqümen können, so wollte ich nur vorläufig fragen: ob die künftige Folge der Ewigkeit nicht eine wahre Unendlichkeit von Mannigfaltigkeiten und Veränderungen in sich fassen wird, und ob diese unendliche Reihe nicht auf einmal schon jetzt dem göttlichen Verstande gänzlich gegenwärtig sei. Wenn es nun möglich war, daß Gott den Begriff der [Seitenumbruch] Unendlichkeit, der seinem Verstande auf einmal darsteht, in einer auf einander folgenden Reihe wirklich machen kann: warum sollte derselbe nicht den Begriff einer andern Unendlichkeit in einem dem Raume nach verbundenen Zusammenhange darstellen und dadurch den Umfang der Welt ohne Grenzen machen können? Indessen daß man diese Frage wird zu beantworten suchen, so werde ich mich der Gelegenheit, die sich darbieten wird, bedienen, durch eine aus der Natur der Zahlen gezogene Erläuterung die vermeinte Schwierigkeit zu heben, wofern man bei genaür Erwägung es noch als eine einer Erörterung bedürftige Frage ansehen kann: ob dasjenige, was eine durch die höchste Weisheit begleitete Macht hervorgebracht hat, sich zu offenbaren, zu demjenigen, was sie hat hervorbringen können, sich wie eine Differentialgröße verhalte.      
           
     

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