Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 308

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 so zu reden, mehr Milchstraßen entstanden sein, die in dem grenzenlosen      
  02 Felde des Weltraums erzeugt worden? Wir haben mit Erstaunen      
  03 Figuren am Himmel erblickt, welche nichts anders, als solche auf einen      
  04 gemeinschaftlichen Plan beschränkte Fixsternensystemata, solche Milchstraßen,      
  05 wenn ich mich so ausdrücken darf, sind, die in verschiedenen      
  06 Stellungen gegen das Auge mit einem ihrem unendlichen Abstande      
  07 gemäß geschwächten Schimmer elliptische Gestalten darstellen; es sind      
  08 Systemata von, so zu sagen, unendliche mal unendlich größerm Durchmesser,      
  09 als der Diameter unseres Sonnenbaues ist, aber ohne Zweifel      
  10 auf gleiche Art entstanden, aus gleichen Ursachen geordnet und eingerichtet      
  11 und erhalten sich durch ein gleiches Triebwerk, als dieses in      
  12 ihrer Verfassung.      
           
  13 Wenn man diese Sternensystemata wiederum als Glieder an der      
  14 großen Kette der gesammten Natur ansieht, so hat man eben so viel      
  15 Ursache, wie vorher, sie in einer gegenseitigen Beziehung zu gedenken      
  16 und in Verbindungen, welche Kraft des durch die ganze Natur herrschenden      
  17 Gesetzes der ersten Bildung ein neues, noch größeres System      
  18 ausmachen, das durch die Anziehung eines Körpers von ungleich      
  19 mächtigerer Attraction, als alle die vorige waren, aus dem Mittelpunkte      
  20 ihrer regelmäßigen Stellungen regiert wird. Die Anziehung,      
  21 welche die Ursache der systematischen Verfassung unter den Fixsternen      
  22 der Milchstraße ist, wirkt auch noch in der Entfernung eben dieser      
  23 Weltordnungen, um sie aus ihren Stellungen zu bringen und die      
  24 Welt in einem unvermeidlich bevorstehenden Chaos zu begraben, wenn      
  25 nicht regelmäßig ausgetheilte Schwungskräfte der Attraction das Gegengewicht      
  26 leisten und beiderseits in Verbindung diejenige Beziehung      
  27 hervorbringen, die der Grund der systematischen Verfassung ist. Die      
  28 Anziehung ist ohne Zweifel eine eben so weit ausgedehnte Eigenschaft      
  29 der Materie, als die Coexistenz, welche den Raum macht, indem sie      
  30 die Substanzen durch gegenseitige Abhängigkeiten verbindet, oder,      
  31 eigentlicher zu reden, die Anziehung ist eben diese allgemeine Beziehung,      
  32 welche die Theile der Natur in einem Raume vereinigt: sie      
  33 erstreckt sich also auf die ganze Ausdehnung desselben bis in alle Weiten      
  34 ihrer Unendlichkeit. Wenn das Licht von diesen entfernten Systemen      
  35 zu uns gelangt, das Licht, welches nur eine eingedrückte Bewegung      
  36 ist, muß nicht vielmehr die Anziehung, diese ursprüngliche Bewegungsquelle,      
  37 welche eher, wie alle Bewegung ist, die keiner fremden Ursachen      
           
     

[ Seite 307 ] [ Seite 309 ] [ Inhaltsverzeichnis ]