Kant: AA I, Die Frage, ob die Erde veralte, ... , Seite 202 |
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| 01 | Wüste bleiben müssen, wenn die Flüsse durch eigene Erhöhung ihrer | ||||||
| 02 | Ufer dieser Überschwemmung Schranken gesetzt haben. Ägypten ist | ||||||
| 03 | das deutlichste Beispiel von dieser Veränderung, welches so sehr in | ||||||
| 04 | seiner Beschaffenheit verändert worden: daß, da das ganze Land nach | ||||||
| 05 | dem Zeugnisse des Herodots 900 Jahre vor seiner Zeit ganz überschwemmt | ||||||
| 06 | worden, wenn der Fluß nur 8 Fuß angewachsen, er zu seiner | ||||||
| 07 | Zeit 15 Fuß hochsteigen mußte, um es gänzlich zu bedecken, da | ||||||
| 08 | nunmehr zu unserer Zeit schon 24 Fuß Anwachs dazu erfordert werden. | ||||||
| 09 | Woraus das diesem Lande durch eine stetige Annäherung mehr und | ||||||
| 10 | mehr drohende Verderben zu ersehen ist. | ||||||
| 11 | Weil aber diese Abänderung der Natur, in soweit sie an einigen | ||||||
| 12 | Theilen des Erdbodens allein haftet, unerheblich und gering ist, so | ||||||
| 13 | muß die Frage von dem Veralten der Erde im Ganzen bestimmt werden, | ||||||
| 14 | und zu dem Ende sind die Ursachen zuvörderst zu prüfen, denen | ||||||
| 15 | die meisten Naturforscher diese Wirkung beimessen und daraus den | ||||||
| 16 | Verfall der Natur dieser Kugel vorher zu verkündigen hinlänglich erachtet | ||||||
| 17 | haben. | ||||||
| 18 | Die erste Ursache fließt aus der Meinung derjenigen, welche die | ||||||
| 19 | Salzigkeit des Meeres den Flüssen zuschreiben, die das aus dem Erdreich | ||||||
| 20 | ausgelaugte Salz, das der Regen in ihre Ströme bringt, mit | ||||||
| 21 | sich ins Meer führen, woselbst es bei der beständigen Abdünstung des | ||||||
| 22 | süßen Wassers zurückbleibt, sich häuft und auf diese Art dem Meere | ||||||
| 23 | alle das Salz verschafft hat, das es noch in sich hält. Es ist hieraus | ||||||
| 24 | leicht abzunehmen: daß, da das Salz das vornehmste Triebwerk des | ||||||
| 25 | Wachsthums und die Quelle der Fruchtbarkeit ist, nach dieser Hypothese | ||||||
| 26 | die ihrer Kraft nach und nach beraubte Erde in einen todten und unfruchtbaren | ||||||
| 27 | Zustand müßte versetzt werden. | ||||||
| 28 | Die zweite Ursache ist in der Wirkung des Regens und der | ||||||
| 29 | Flüsse in Ansehung der Abspülung des Erdreichs und Wegführung | ||||||
| 30 | desselben in das Meer zu setzen, welches dadurch immermehr und mehr | ||||||
| 31 | ausgefüllt zu werden scheint, indessen daß die Höhe des festen Landes | ||||||
| 32 | sich beständig verringert: so daß zu besorgen steht, das Meer müßte, | ||||||
| 33 | indem es immermehr erhoben wird, endlich genöthigt werden das Trockene | ||||||
| 34 | wiederum zu übersteigen, welches ehedem seiner Herrschaft entzogen | ||||||
| 35 | worden. | ||||||
| 36 | Die dritte Meinung ist die Vermuthung derjenigen, welche, indem | ||||||
| 37 | sie gewahr werden, daß das Meer sich von den meisten Ufern in | ||||||
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