Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 197 |
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| 01 | besteht das obere Erkenntnißvermögen (materialiter, d. i. nicht für sich | ||||||
| 02 | allein, sondern in Beziehung aufs Erkenntniß der Gegenstände betrachtet) | ||||||
| 03 | aus Verstand, Urtheilskraft und Vernunft. - Laßt uns | ||||||
| 04 | jetzt Beobachtungen über den Menschen anstellen, wie einer von dem andern | ||||||
| 05 | in diesen Gemüthsgaben oder deren gewohnten Gebrauch oder Mißbrauch | ||||||
| 06 | unterschieden ist, erstlich in einer gesunden Seele, dann aber auch | ||||||
| 07 | in der Gemüthskrankheit. | ||||||
| 08 | Anthropologische Vergleichung der drei oberen |
[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 161)] | |||||
| 09 | Erkenntnißvermögen mit einander. |
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| 10 | § 41. Ein richtiger Verstand ist der : welcher nicht sowohl durch Vielheit | ||||||
| 11 | der Begriffe schimmernd ist, als vielmehr durch Angemessenheit | ||||||
| 12 | derselben zur Erkenntniß des Gegenstandes, also zur Auffassung der | ||||||
| 13 | Wahrheit das Vermögen und die Fertigkeit enthält. Mancher Mensch | ||||||
| 14 | hat viel Begriffe im Kopf, die insgesammt auf Ähnlichkeit mit dem, was | ||||||
| 15 | man von ihm vernehmen will, hinauslaufen, aber mit dem Object und | ||||||
| 16 | der Bestimmung desselben doch nicht zutreffen. Er kann Begriffe von | ||||||
| 17 | großem Umfange haben, ja auch von behenden Begriffen sein. Der | ||||||
| 18 | richtige Verstand, welcher für Begriffe der gemeinen Erkenntniß zulangt, | ||||||
| 19 | heißt der gesunde (fürs Haus hinreichende) Verstand. Er sagt mit dem | ||||||
| 20 | Wachmeister bei Juvenal: quod sapio, satis est mihi, non ego curo - | ||||||
| 21 | esse quod Arcesilas aerumnosique Solones . Es versteht sich von selber, | ||||||
| 22 | daß die Naturgabe eines blos geraden und richtigen Verstandes sich selbst | ||||||
| 23 | in Ansehung des Umfanges des ihm zugemutheten Wissens einschränken | ||||||
| 24 | und der damit Begabte bescheiden verfahren wird. | ||||||
| 25 | § 42. Wenn unter dem Worte Verstand das Vermögen der Erkenntniß | ||||||
| 26 | der Regeln (und so durch Begriffe) überhaupt gemeint wird, so daß | ||||||
| 27 | er das ganze obere Erkenntnißvermögen in sich faßt, so sind darunter | ||||||
| 28 | nicht diejenigen Regeln zu verstehen, nach welchen die Natur den Menschen | ||||||
| 29 | in seinem Verfahren leitet, wie es bei den durch Naturinstinct getriebenen | ||||||
| 30 | Thieren geschieht, sondern nur solche, die er selbst macht. Was | ||||||
| 31 | er blos lernt und so dem Gedächtniß anvertraut, das verrichtet er nur | ||||||
| 32 | mechanisch (nach Gesetzen der reproductiven Einbildungskraft) und ohne | ||||||
| 33 | Verstand. Ein Bedienter, der blos ein Compliment nach einer bestimmten | ||||||
| 34 | Formel abzustatten hat, braucht keinen Verstand, d. i. er hat nicht | ||||||
| 35 | nöthig selbst zu denken, aber wohl, wenn er in Abwesenheit seines Herrn | ||||||
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