Kant: Briefwechsel, Brief 522, An Iohann Erich Biester.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Iohann Erich Biester.      
           
  30. Iuli 1792.      
           
  Ihre Bemühungen, Geehrtester Freund, die Zulassung meines letzten      
  Stücks in der B[erlinischen] M[onats] S[chrift] durchzusetzen, haben      
  allem Vermuthen nach die baldige Zurückschickung derselben an mich,      
  warum ich gebeten hatte, gehindert. - Ietzt wiederhole ich diese Bitte;      
  weil ich einen anderen Gebrauch, und zwar bald, davon zu machen      
  gesinnet bin, welches um desto nöthiger ist, da die vorhergehende Abhandlung      
  ohne die nachfolgende Stücke, eine befremdliche Figur in      
  Ihrer M. S. machen muß; der Urtheilsspruch aber Ihrer drey      
  Glaubensrichter unwiederruflich zu seyn scheint. - Es ist also mein      
  dringendes Gesuch: mein Mspt mir, auf meine Kosten, sobald als      
  möglich, mit der fahrenden Post wieder zuzusenden; weil ich von verschiedenen      
  unter den Text eigenhändig geschriebenen Anmerkungen keine      
  Abschrift aufbehalten habe, sie aber auch nicht gern missen wollte.      
           
  Den Grund, warum ich auf die Berl[iner] Censur drang, werden      
  Sie sich aus meinem damaligen Briefe leicht erinnerlich machen. So      
  lange nämlich die Abhandlungen in Ihrer M. S., so wie bis jetzt, sich      
  in den engen Schranken halten, nichts, was der Privatmeynung Ihrer      
  Censoren in Glaubenssachen einigermaßen zuwieder zu seyn scheinen      
  könnte, einfließen zu lassen, macht es keinen Unterschied, ob sie innerhalb      
  den Königl[ichen] Landen oder auswärts gedruckt würde. Da ich      
  aber in Ansehung meiner Abhandlung des letzteren wegen etwas besorgt      
  sein mußte, so war die natürliche Folge: daß, wenn sie dennoch, wieder      
  ihre Einstimmung, in der M. S. erschienen wäre, diese Censoren      
  darüber Klage erheben, den Umschweif, den sie nimmt, fernerhin verhindern      
  und meine Abhandlung, die sie alsdann ohne Zweifel weidlich      
  anzuschwärtzen nicht ermangeln würden, zur Rechtfertigung ihres      
  Gesuchs (um Verbot dieses Umschweifs) anführen möchten, welches mir      
  Unannehmlichkeiten zuziehen würde.      
           
  Ich werde dem ungeachtet nicht unterlassen, anstatt dieser Abhand[lung]      
  Ihnen, wenn Sie es verlangen, eine andere, blos moralische,      
  nämlich über Hrn Garve in seinen Versuchen 1. Theil neuerdings      
  geäußerte Meynung von meinem Moralprincip, bald zuzuschicken und      
  bin übrigens mit unwandelbarer Hochschätzung und Freundschaft der      
           
    Ihrige      
  Koenigsberg I Kant      
  den 30 July 1792.        
           
           
           
     

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