Kant: AA XIX, Erläuterungen zu G. Achenwalls Iuris ... , Seite 640 |
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| 01 | Hierunter wird ein Böses, nicht ein Übel, aus dem nur Zufällig und | ||||||
| 02 | mit unsrer Schuld ein Boses entspringt, verstanden. Folglich nicht peccatum | ||||||
| 03 | originarium, welches ein Wiederspruch ist, sondern angebohrne Anlage | ||||||
| 04 | verstanden, worunter nur eine Verwerflichkeit in uns verstanden wird, | ||||||
| 05 | da wir entweder besser gewesen und nur verdorben worden oder und zwar | ||||||
| 06 | mit unserer eigenen Schuld, oder es den Schranken unserer Natur unter | ||||||
| 07 | der Vorschrift der Freyheit anhängt, worüber wir nichts entscheiden; sondern | ||||||
| 08 | nur das Böse betrachten, wie es ist. | ||||||
| 09 | Es ist die Frage: ob der Neid das erste sey (als Bosheit) mithin das | ||||||
| 10 | hassenswürdige, welcher eine ursprüngliche Feindseeligkeit unter Menschen | ||||||
| 11 | bedeutet oder die Falschheit. Wir würden uns aber nicht beneiden, wenn | ||||||
| 12 | wir uns unser Scheinglück und unser Scheinverdienst uns, wie wir es | ||||||
| 13 | selbst kennen, andern ohne Zurückhaltung eröfneten. Auch ist die Rivalität | ||||||
| 14 | eine Triebfeder zum perfectioniren, und wenn wir uns nicht vorstelleten, | ||||||
| 15 | würden wir unsern Rang unter andern nicht dadurch, daß wir andern | ||||||
| 16 | ihren verkleinern, um den unsrigen hervorragend zu machen, suchen, sondern | ||||||
| 17 | unsere eignen Gebrechen würden uns keine Ansprüche machen lassen, sondern | ||||||
| 18 | wir würden alle jeder für sich zuerst müssen gut zu seyn trachten und blos | ||||||
| 19 | die Thunlichkeit desselben an andern bemerken ohne Haß. | ||||||
| 20 | Die Falschheit gegen andere ist (g so fern ) auch nicht das radicale Böse; denn | ||||||
| 21 | es kann auch blos aus der Beeiferung entsprungen seyn, wozu die Verheelung seiner | ||||||
| 22 | Gebrechen eine gute Naturanlage seyn kann und die Gleisnerey nur zufallig hinzu | ||||||
| 23 | kommt. Man spiegelt vielleicht einen Vorzug (g Verdienst ) vor, dessen man sich nicht | ||||||
| 24 | bewust ist, um nur nicht verachtet zu werden. Also ist die Falschheit in | ||||||
| 25 | unser Selbst das radicale Böse. | ||||||
| 26 | Die Falschheit gegen andere ist der angenommene Schein ihrer | ||||||
| 27 | Achtung so wohl als Wohlwollens und Freundschaft, indessen daß sie entweder | ||||||
| 28 | nichts oder gar das Wiederspiel davon in sich haben. (Vom plebejen | ||||||
| 29 | im Umgange, d. i. der Freyheit, die man sich erlaubt, ohne gnugsame delicatesse | ||||||
| 30 | in Ansehung der Achtung, die der andere fordert.) Daß sich jemand | ||||||
| 31 | von der besten Seite in Ansehung dessen, was den inneren Werth des | ||||||
| 32 | Menschen ausmacht oder seinen Marktpreis ausmacht, zeige, gehört zu | ||||||
| 33 | den Mitteln der selbsterhaltung, wodurch er keinen betrügt, weil keiner | ||||||
| 34 | ein Recht hat hievon die Warheit zu erfahren. Aber in äußerer declaration | ||||||
| 35 | der Freundschaft, des Wohlwollens und der Achtung kan ich Warheit | ||||||
| 36 | fordern, und die Nachäffung der Manieren der Freundschaft wenn sie und | ||||||
| 37 | überhaupt der Geselligkeit bringt den Verdacht hervor, daß nichts dergleichen | ||||||
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