Kant: AA XV, Reflexionen zur Anthropologie. , Seite 313 |
||||||||
Zeile:
|
Text:
|
Verknüpfungen:
|
|
|||||
| 01 | frey ist. Es muß ausser den Gründen der Billigung noch ein principium | |||||||
| 02 | der Zueignung seyn; denn ienes bewegt einen Willen, so fern | |||||||
| 03 | dadurch zugleich alle bewegt werden (z. E. einen zur Gerechtigkeit, so daß | |||||||
| 04 | alle auch gerecht seyn); dieses aber wirkt auf das besondere subiect unangesehen | |||||||
| 05 | der Übrigen und selbst bey dem wiederstreit der Übrigen. Warum, | |||||||
| 06 | wenn ein Betragen allgemein genommen allein gut ist, soll ich, ohn wenn | |||||||
| 07 | es gleich nicht allgemein beobachtet wird, dennoch daran gebunden seyn? | |||||||
| 08 | (oder warum soll ich einer regel peinlich anhangen, die zwar unter allen, | |||||||
| 09 | welche man sich vorsetzen mag, auch die nützlichste ist, dennoch immer ausnahmen | |||||||
| 10 | Verstattet?) (und warum soll meine Handlung, ob sie zwar | |||||||
| 11 | gemisbilligt wird, nicht durch die Annehmlichkeit sich mir empfehlen?) | |||||||
| 12 | Man kan von dem Geschmak, dem moralischen Gefühl den alten | |||||||
| 13 | Grundsatz der Eleatischen Schule brauchen: sensualium non datur scientia. | |||||||
| 14 | Die principia entspringen nur per inducationem und kommen sehr auf die | |||||||
| 15 | zufallige modificationen der subiecte zur Einstimmung an. | |||||||
| 16 | Der satz: de gustu non est disputandum, wenn das disputiren so | |||||||
| 17 | viel heißt als: durch Vernunftgründe von beyden seiten ausmachen, ist | |||||||
| 18 | ganz richtig. Wenn es aber bedeutet, daß darin gar keine Regel, mithin | |||||||
| 19 | auch kein rechtmäßiger Widerspruch gelte, so ist er ein Grundsatz der | |||||||
| 20 | Ungeselligkeit, der Rauhigkeit und auch der Unwissenheit. | |||||||
707. ν1? (λ?) ρ1?? M 179'. |
||||||||
| 22 | Das ist etwas sehr merkwürdiges, daß man das moralisch Böse | |||||||
| 23 | (Laster) mehr verabscheuet, aber von dem Unglüke eigentlich nur wünscht, | |||||||
| 24 | daß es nicht geschehen wäre. Wenn mein freund bestohlen ist, so wünsche | |||||||
| 25 | ich nicht, daß der Thäter gar nicht möchte gestohlen haben. Wir verabscheuen | |||||||
| 26 | den Diebstahl; es ist uns aber das Daseyn desselben gleichgültig, | |||||||
| 27 | wenn er nur nicht den Freund bestohlen hätte; also ist das Verabscheuen | |||||||
| 28 | eine sache der Beurtheilung, aber nicht des Gefühls oder Begierde. Umgekehrt: | |||||||
| 29 | die Krankheit verabscheut niemand, aber wünscht, daß er sie nicht | |||||||
| 30 | bekommen möge. Unterschied zwischen dem Wunsche, daß ich etwas Übels | |||||||
| 31 | nicht dulden möge, und: daß es überhaupt nicht seyn möge. Der Abscheu | |||||||
| [ Seite 312 ] [ Seite 314 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
||||||||