Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 326

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Wenn ich Ew. Wohlgebohr. Meinung richtig gefaßt habe, so bin      
  02 ich den durch Sie vorgeschlagenen Mittelweg der Unterscheidung eines      
  03 Glaubens der Behauptung von dem eines durch Moralität motivirten      
  04 Annehmens in meinem Aufsatze wirklich gegangen. Ich habe      
  05 nemlich die meinen Grundsätzen nach einzig mögliche vernunftmäßige      
  06 Art eines Glaubens an die Göttlichkeit einer gegebnen Offenbarung,      
  07 welcher (Glaube) nur eine gewiße Form der Religions=Wahrheiten      
  08 zum Objecte hat, von demjenigen, der diese Wahrheiten an sich als      
  09 reine VernunftPostulate annimmt, sorgfältig zu unterscheiden gesucht.      
  10 Es war nemlich eine auf Erfahrung von der Wirksamkeit einer als      
  11 göttlichen Ursprungs gedachten Form dieser Wahrheiten zur moralischen      
  12 Vervollkommnerung sich gründende freie Annahme des göttlichen Ursprungs      
  13 dieser Form, den man jedoch weder sich noch andern beweisen      
  14 kann, aber eben so sicher ist, ihn nicht widerlegt zu sehen; eine Annahme,      
  15 welche, wie jeder Glaube, blos subjectiv, aber nicht, wie der      
  16 reine VernunftGlaube, allgemeingültig sei, da er sich auf eine besondre      
  17 Erfahrung gründe. - Ich glaube diesen Unterschied so ziemlich in's      
  18 Licht gesezt zu haben, und ganz zum Beschluße suchte ich die practischen      
  19 Folgen dieser Grundsätze darzustellen; daß sie nemlich zwar alle Bemühungen      
  20 unsre subjective Ueberzeugungen andern aufzudringen aufhöben,      
  21 daß sie aber auch jedem den unstörbaren Genuß alles deßen,      
  22 was er aus der Religion zu seiner Beßerung brauchen kann, sicherten,      
  23 und den Bestreiter der positiven Religion nicht weniger als ihren      
  24 dogmatischen Vertheidiger zur Ruhe verwiesen, u.s.w. - Grundsätze      
  25 durch die ich bei wahrheitsliebenden Theologen keinen Zorn zu verdienen      
  26 glaubte. Aber es ist geschehen, und ich bin jezt entschloßen      
  27 den Aufsatz zu laßen, wie er ist, und dem Verleger zu überlaßen      
  28 damit zu verfahren, wie er will. Euer Wohlgebohrn aber, Denen ich      
  29 alle meine Ueberzeugungen überhaupt, als besonders die Berichtigung      
  30 und Befestigung in denen, wovon hier vorzüglich die Rede war, verdanke,      
  31 bitte ich die Versicherung der Hochachtung, und vollkommensten      
  32 Ergebenheit gütig aufzunehmen, mit der ich die Ehre habe zu sein      
           
  33   Euer Wohlgebohrn      
  34 Krockow. inniger Verehrer      
  35 d. 17. Februar J. G. Fichte      
  36 1792.        
           
           
           
     

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