Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 454 |
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| 01 | Hier muß man folgendes beobachten: 1) daß man das Kind von der | ||||||
| 02 | ersten Kindheit an in allen Stücken frei sein lasse (ausgenommen in den | ||||||
| 03 | Dingen, wo es sich selbst schadet, z. E. wenn es nach einem blanken Messer | ||||||
| 04 | greift), wenn es nur nicht auf die Art geschieht, daß es anderer Freiheit | ||||||
| 05 | im Wege ist; z. E. wenn es schreit, oder auf eine allzulaute Art lustig ist, | ||||||
| 06 | so beschwert es Andere schon. 2) Muß man ihm zeigen, daß es seine | ||||||
| 07 | Zwecke nicht anders erreichen könne, als nur dadurch, daß es Andere ihre | ||||||
| 08 | Zwecke auch erreichen lasse, z. E. daß man ihm kein Vergnügen mache, | ||||||
| 09 | wenn es nicht thut, was man will, daß es lernen soll etc. 3) Muß man | ||||||
| 10 | ihm beweisen, daß man ihm einen Zwang auflegt, der es zum Gebrauche | ||||||
| 11 | seiner eigenen Freiheit führt, daß man es cultivire, damit es einst frei | ||||||
| 12 | sein könne, d. h. nicht von der Vorsorge Anderer abhängen dürfe. Dieses | ||||||
| 13 | Letzte ist das Späteste. Denn bei den Kindern kommt die Betrachtung | ||||||
| 14 | erst spät, daß man sich z. E. nachher selbst um seinen Unterhalt bekümmern | ||||||
| 15 | müsse. Sie meinen, das werde immer so sein, wie in dem Hause der | ||||||
| 16 | Eltern, daß sie Essen und Trinken bekommen, ohne daß sie dafür sorgen | ||||||
| 17 | dürfen. Ohne jene Behandlung sind Kinder besonders reicher Eltern und | ||||||
| 18 | Fürstensöhne, so wie die Einwohner von Otaheite, das ganze Leben hindurch | ||||||
| 19 | Kinder. Hier hat die öffentliche Erziehung ihre augenscheinlichsten | ||||||
| 20 | Vorzüge, denn bei ihr lernt man seine Kräfte messen, man lernt Einschränkung | ||||||
| 21 | durch das Recht Anderer. Hier genießt keiner Vorzüge, weil | ||||||
| 22 | man überall Widerstand fühlt, weil man sich nur dadurch bemerklich macht, | ||||||
| 23 | daß man sich durch Verdienst hervorthut. Sie giebt das beste Vorbild des | ||||||
| 24 | künftigen Bürgers. | ||||||
| 25 | Aber noch einer Schwierigkeit muß hier gedacht werden, die darin | ||||||
| 26 | besteht, die Geschlechtskenntniß zu anticipiren, um schon vor dem Eintritte | ||||||
| 27 | der Mannbarkeit Laster zu verhüten. Doch davon soll noch weiter unten | ||||||
| 28 | gehandelt werden. | ||||||
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