Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 277 |
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Text (Kant):
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| 01 | §. 56. |
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| 02 | Von der Bewegung und dem Abhange der Flüsse. |
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| 03 | Weil dazu, daß ein Fluß seinen Lauf ins Meer erstreckt, ein beständiger | ||||||
| 04 | Abhang des festen Landes von seinen Quellen an bis zum Meere | ||||||
| 05 | nöthig ist: so ist es merkwürdig, daß das feste Land in so großer Strecke, | ||||||
| 06 | als z. E. Südamerika nach der Lage des Amazonenstromes, wohl 800 Meilen | ||||||
| 07 | einen einförmigen Abhang bis zum Meere hat. Denn wenn es hin | ||||||
| 08 | und wieder große Einbeugungen und Vertiefungen hätte: so würde der | ||||||
| 09 | Strom sehr viele weitläuftige Seen unterwegs bilden. | ||||||
| 10 | Alle Ströme haben nicht einen gleich jähen Abhang. Aus den cordillerischen | ||||||
| 11 | Bergen, wo der Amazonenstrom entspringt, entstehen viele | ||||||
| 12 | Gießbäche, die sich in den Stillen Ocean ergießen. Der letzte Abhang ist | ||||||
| 13 | viel stärker als der erstere. Die Seine, wo sie durch Paris fließt, hat auf | ||||||
| 14 | 6000 Fuß nur einen Fuß Abfall, die Loire aber einen dreimal stärkern. | ||||||
| 15 | Irrthum des Varenius und Kühns. | ||||||
| 16 | Die Schnelligkeit eines Flusses soll in der ganzen Länge seines Laufes | ||||||
| 17 | zunehmen: weil er aber nahe bei seinem Ausflusse breiter wird und sein | ||||||
| 18 | Abhang daselbst auch fast aufhört: so fließt er daselbst langsamer als irgendwo. | ||||||
| 20 | §. 57. |
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| 21 | Einige besondere Merkwürdigkeiten der Flüsse. |
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| 22 | Die Richtung großer Flüsse macht gemeiniglich mit der Richtung der | ||||||
| 23 | höchsten Gebirge, auf denen ihre Quellen befindlich sind, einen rechten | ||||||
| 24 | Winkel, weil dieser Weg der kürzeste ist, von da in die See zu gelangen. | ||||||
| 25 | Doch laufen zugleich zwei Reihen von Gebirgen, wenigstens zwei Landrücken | ||||||
| 26 | von beiden Seiten, und der Fluß nimmt das Thal zwischen beiden | ||||||
| 27 | ein, in welches die von beiden Seiten daraus entspringenden Bäche sich | ||||||
| 28 | ergießen. Sie haben nahe an ihrem Ursprunge höhere Ufer als an ihrem | ||||||
| 29 | Ausflusse. Sie haben auch wenigere Krümmungen, und ist das Ufer da, | ||||||
| 30 | wo es einen eingehenden Winkel macht ( Angle rentrant ), höher als bei | ||||||
| 31 | dem ausspringenden ( Angle saillant ). Z. E. das Ufer a ist höher als das | ||||||
| 32 | gegenüberstehende b, und c ist höher als d. Dieses rührt von der Natur | ||||||
| 33 | eines Thales her, welches zwischen zwei ungleich abschüssigen Höhen am | ||||||
| 34 | tiefsten nahe an der steilsten Höhe ist. | ||||||
| 35 | Die Flüsse zerstören nach und nach das höhere Ufer und setzen die | ||||||
| 36 | abgerissene Erde und Sand an die niedrigen ab, daher die öftern Veränderungen | ||||||
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