Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 251 |
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| 01 | ist so beschaffen, daß sie mit allem Recht für einen Berg gelten kann, indem | ||||||
| 02 | sie gegen achtehalbtausend Fuß über dem Meere und zwischen zwei | ||||||
| 03 | Reihen von Bergen liegt, also als weites und hohes Thal angesehen werden | ||||||
| 04 | kann. Obgleich nun hier die Strahlen von unendlich vielen Gegenden | ||||||
| 05 | zurückgeworfen werden und auf diese Landschaft fallen, so ist es in ihr | ||||||
| 06 | dennoch weit kälter als in den tiefer unten, obgleich dicht neben ihr | ||||||
| 07 | gelegenen Gegenden, daher ihre Einwohner auch eine weiße Farbe | ||||||
| 08 | haben. | ||||||
| 09 | Anmerkung. Die Wärme haben wir eigenthümlich als Bedingung der | ||||||
| 10 | Ausdehnung für jeden Körper zu betrachten. Nirgend fehlt sie ganz. Wo sie | ||||||
| 11 | fehlte, könnte keine Organisation stattfinden; es wäre da eine gänzliche Aufhebung | ||||||
| 12 | alles Organism. Und weil es keinen streng unorganischen Körper giebt: so würden | ||||||
| 13 | wir uns bei der Annahme eines überall vorhandenen gänzlichen Mangels an | ||||||
| 14 | eigener Wärme, welcher eintreten müßte, wenn wir sie als etwas bloß von außen | ||||||
| 15 | her Gewirktes betrachten wollten, in die Nothwendigkeit gesetzt sehen, einen Nihilismus | ||||||
| 16 | anzunehmen, dem Vernunft und Erfahrung widersprechen. Die Wärme | ||||||
| 17 | ist also allein etwas Positives, wie das Licht, und Kälte wie Finsterniß sind bloß | ||||||
| 18 | Namen für den scheinbaren Mangel jener. Damit aber kann eine von außen her | ||||||
| 19 | bewirkte größere oder minder bewirkte Erregung sehr gut bestehen, und daß diese | ||||||
| 20 | vermittelst der Sonnenstrahlen vorzüglich hervorgebracht werde, ist ganz unleugbar. | ||||||
| 21 | Ob zu diesem Endzweck eine besondere Art der Strahlen von der Sonne | ||||||
| 22 | aus auf die übrigen Weltkörper wirke, wie Herschel bemerkt zu haben glaubt, | ||||||
| 23 | und ob das Licht wieder durch andere Strahlen, sei es hervorgebracht, oder | ||||||
| 24 | bloß, wie die Wärme, erregt werde, müssen wir bis zu näherer Kenntniß der | ||||||
| 25 | Sache dahingestellt sein lassen. Von der Erregbarkeit der Wärme kann der | ||||||
| 26 | Mensch sich durch sich selbst überzeugen, nicht nur durch das Reiben seiner Glieder in | ||||||
| 27 | der strengsten Winterkälte, vermittelst welcher sogar Erfrorne wieder in das Leben | ||||||
| 28 | zurückgerufen werden, sondern auch durch den leidlichern Zustand,in welchem wir | ||||||
| 29 | uns zur Zeit des Sommers befinden, wenn dann auch einmal auf kürzere Zeit | ||||||
| 30 | das Thermometer zu einem Grade herabsinkt, der bei dem Beginn des Frühlings | ||||||
| 31 | uns noch immer zum sorgsamen Heizen unserer Zimmer nöthigen würde. S. Hildebrand's | ||||||
| 32 | Encyklopädie der Chemie. Erlang. 1799. 8. S. 85. u. f. | ||||||
| 33 | Schellings Journal der Physik. | ||||||
| 34 | Hildebrand bemerkt demnach sehr richtig, daß wir eigentlich von keinem | ||||||
| 35 | Körper sagen sollten, er sei warm oder kalt, sondern nur wärmer oder kälter, | ||||||
| 36 | weil hier alles auf dem Verhältnisse zu einem andern Körper beruht. Daher der, | ||||||
| 37 | welcher aus der freien, strengen Winterluft kommt, ein Zimmer sehr angenehm, | ||||||
| 38 | wohl gar warm findet, in dem ein anderer, der sich schon seit einer Stunde darin | ||||||
| 39 | befand, herzlich friert. | ||||||
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