Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 218 |
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| 01 | Fall sein, weil er aber, bevor sich das Wasser sammeln kann, schon wieder | ||||||
| 02 | fortgerückt ist: so wird das Wasser dadurch in seinem Zusammenflusse | ||||||
| 03 | gehindert. | ||||||
| 04 | Die Fluth im weiten Ocean ist klein, denn das große Wasser kann | ||||||
| 05 | sich seines größern Zusammenhanges wegen nicht so leicht ansammeln, | ||||||
| 06 | daher die Fluth denn auch an den Inseln des Pacifischen Meeres nur | ||||||
| 07 | 6 Fuß, bei Bristol dagegen 20 Fuß hoch ist. Wo große Busen sind, da | ||||||
| 08 | giebt es auch große Fluthen. Meere, die vom Ocean abgeschnitten sind, | ||||||
| 09 | haben selten Ebbe und Fluth. | ||||||
| 10 | Obgleich ferner die Sonne weiter von der Erde entfernt ist als der | ||||||
| 11 | Mond, da dieser nämlich nur etwa 60, jene aber 23 bis über 24000 Erdhalbmesser | ||||||
| 12 | von ihr absteht: so äußert sich dennoch auch von ihrer Seite, | ||||||
| 13 | weil sie wenigstens 10000000 mal mehr Masse hat, eine merkliche Anziehung | ||||||
| 14 | auf der Erde. Zur Zeit des Neumondes, wenn die Sonne mit | ||||||
| 15 | dem Monde in einerlei und derselben Gegend des Himmels steht, oder in | ||||||
| 16 | Conjunction mit ihm ist, und bei dem Vollmonde, wenn sie einander | ||||||
| 17 | opponirt sind oder 180 Grade von einander abstehen, müssen die Anziehungskräfte | ||||||
| 18 | beider vereinigt wirken, und also wird zu dieser Zeit das | ||||||
| 19 | größte Anschwellen, so wie das niedrigste Herabsinken des Wassers stattfinden | ||||||
| 20 | müssen. In der Opposition tritt dieser Fall daher ein, weil auf | ||||||
| 21 | der dem Monde sowohl zu= als abgekehrten Seite der Erde das Wasser | ||||||
| 22 | gleich hoch anschwellt. Zur Zeit der Mondesviertel dagegen wird die | ||||||
| 23 | Sonne da ihre Attraction äußern, wo das Wasser wegen Anziehung des | ||||||
| 24 | Mondes sinken soll, folglich wird die Wirkung des Mondes hierdurch verringert | ||||||
| 25 | werden und zur Zeit des ersten und letzten Viertels das geringste | ||||||
| 26 | Anschwellen und Sinken des Wassers eintreten. | ||||||
| 27 | Da nun Newton ausgerechnet hat, wie der Mond, wenn er nur | ||||||
| 28 | allein das Wasser der Erde anzöge, es um 10 Fuß und die Sonne in | ||||||
| 29 | demselben Falle es um 2 Fuß erheben würde: so muß das Wasser in | ||||||
| 30 | der Conjunction und Opposition des Mondes und der Sonne zu einer | ||||||
| 31 | Höhe oder Tiefe von 12 Fuß, in den Quadraturen dagegen, wenn sie | ||||||
| 32 | 90 Grade von einander entfernt sind, nur um 8 Fuß anschwellen und | ||||||
| 33 | sinken. In der hohen See wird dieses langsam und allmählig geschehen, | ||||||
| 34 | bei den Meerbusen aber, wo das Land Widerstand leistet, muß das Wasser | ||||||
| 35 | natürlich mit einer Art von Ungestüm eindringen. Jedoch merken wir | ||||||
| 36 | an, daß die größte Fluth erst drei Tage nach der Conjunction und Opposition | ||||||
| 37 | erfolgt. | ||||||
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