Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 205

   
         
 

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  01 Vernunft. Er ist höchst tadelhaft: weil er voraussetzt, daß ein jeder, wenn    
  02 er sich nur dazu geschickt fühlte, betrügen würde, und, daß er nicht betrügt,    
  03 bloß von seinem Unvermögen herrühre. - Daher die Sprichwörter: "Er    
  04 hat das Schießpulver nicht erfunden, er wird das Land nicht verrathen,    
  05 er ist kein Hexenmeister" menschenfeindliche Grundsätze verrathen: daß    
  06 man nämlich bei Voraussetzung eines guten Willens der Menschen, die    
  07 wir kennen, doch nicht sicher sein könne, sondern nur beim Unvermögen    
  08 derselben. - So, sagt Hume, vertraut der Großsultan seinen Harem    
  09 nicht der Tugend derjenigen, welche ihn bewachen sollen, sondern ihrem    
  10 Unvermögen (als schwarzen Verschnittenen) an. - In Ansehung des    
  11 Umfangs seiner Begriffe sehr beschränkt (bornirt) zu sein, macht die    
  12 Dummheit noch nicht aus, sondern es kommt auf die Beschaffenheit    
  13 derselben (die Grundsätze) an. - Daß sich Leute von Schatzgräbern, Goldmachern    
  14 und Lotteriehändlern hinhalten lassen, ist nicht ihrer Dummheit,    
  15 sondern ihrem bösen Willen zuzuschreiben: ohne proportionirte eigene Bemühung    
  16 auf Kosten anderer reich zu werden. Die Verschlagenheit,    
  17 Verschmitztheit, Schlauigkeit ( versutia, astutia ) ist die Geschicklichkeit,    
  18 Andere zu betrügen. Die Frage ist nun: ob der Betrüger klüger sein    
  19 müsse als der, welcher leicht betrogen wird, und der letztere der Dumme    
  20 sei. Der Treuherzige, welcher leicht vertraut (glaubt, Credit giebt),    
  21 wird auch wohl bisweilen, weil er ein leichter Fang für Schelme ist, obzwar    
  22 sehr ungebührlich, Narr genannt, in dem Sprichwort: wenn die    
  23 Narren zu Markte kommen, so freuen sich die Kaufleute. Es ist wahr    
  24 und klug, daß ich dem, der mich einmal betrogen hat, niemals mehr traue;    
  25 denn er ist in seinen Grundsätzen verdorben. Aber darum, weil mich    
  26 einer betrogen hat, keinem anderen Menschen zu trauen, ist Misanthropie.    
  27 Der Betrüger ist eigentlich der Narr. - Aber wie, wenn er auf    
  28 einmal durch einen großen Betrug sich in den Stand zu setzen gewußt hat,    
  29 keines anderen und seines Zutrauens mehr zu bedürfen? In dem Fall    
  30 ändert sich wohl der Charakter, unter dem er erscheint, aber nur dahin:    
  31 daß, anstatt der betrogene Betrüger ausgelacht, der glückliche angespieen    
  32 wird; wobei doch auch kein dauernder Vortheil ist.*)    
         
         
    *) Die unter uns lebenden Palästiner sind durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil, auch was die größte Menge betrifft, in den nicht ungegründeten Ruf des Betruges gekommen. Es scheint nun zwar befremdlich, sich eine Nation von Betrügern zu denken; aber eben so befremdlich ist es doch auch, eine Nation von lauter Kaufleuten zu denken, deren bei weitem größter Theil, durch einen alten, von [Seitenumbruch] dem Staat, darin sie leben, anerkannten Aberglauben verbunden, keine bürgerliche Ehre sucht, sondern dieser ihren Verlust durch die Vortheile der Überlistung des Volks, unter dem sie Schutz finden, und selbst ihrer untereinander ersetzen wollen. Nun kann dieses bei einer ganzen Nation von lauter Kaufleuten als nicht=producirenden Gliedern der Gesellschaft (z. B. der Juden in Polen) auch nicht anders sein; mithin kann ihre durch alte Satzungen sanctionirte, von uns (die wir gewisse heilige Bücher mit ihnen gemein haben), unter denen sie leben, selbst anerkannte Verfassung, ob sie zwar den Spruch: "Käufer, thue die Augen auf!" zum obersten Grundsatze ihrer Moral im Verkehr mit uns machen, ohne Inconsequenz nicht aufgehoben werden. - Statt der vergeblichen Plane, dieses Volk in Rücksicht auf den Punkt des Betrugs und der Ehrlichkeit zu moralisiren, will ich lieber meine Vermuthung vom Ursprunge dieser sonderbaren Verfassung (nämlich eines Volks von lauter Kaufleuten) angeben. - - Der Reichthum ist in den ältesten Zeiten durch den Handel mit Indien und von da über Land bis zu den östlichen Küsten des Mittelländischen Meeres und den Häfen von Phönizien (wozu auch Palästina gehört) geführt worden. - Nun hat er zwar über manche andere Örter, z. B. Palmyra, in älteren Zeiten Tyrus, Sidon oder auch mit einigem Absprung über Meer als Eziongeber und Elat, auch wohl von der arabischen Küste auf Groß=Theben und so über Ägypten nach jener syrischen Küste seinen Weg nehmen können; aber Palästina, worin Jerusalem die Hauptstadt war, lag für den Caravanenhandel auch sehr vortheilhaft. Vermuthlich ist das Phänomen des ehemaligen Salomonischen Reichthums die Wirkung davon und das Land umher selbst bis zur Zeit der Römer voller Kaufleute gewesen, die nach Zerstörung dieser Stadt, weil sie mit anderen Handelsleuten dieser Sprache und Glaubens schon vorher im ausgebreiteten Verkehr gestanden hatten, sich sammt beiden nach und nach in weit entfernte Länder in Europa) verbreiteten, im Zusammenhange bleiben und bei den Staaten, dahin sie zogen, wegen der Vortheile ihres Handels Schutz finden konnten; - so daß ihre Zerstreuung in alle Welt mit ihrer Vereinigung in Religion und Sprache gar nicht auf Rechnung eines über dieses Volk ergangenen Fluchs gebracht, sondern vielmehr als Segnung angesehen werden muß: zumal der Reichthum derselben, als Individuen geschätzt, wahrscheinlich den eines jeden anderen Volks von gleicher Personenzahl jetzt übersteigt.    
         
     

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