Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 250 |
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Text (Kant):
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| 01 | der Grund darin zu suchen ist, daß, was wir nach Vorschrift der Urtheilskraft | ||||||
| 02 | in der Anschauung nur immer darstellen (mithin ästhetisch vorstellen) | ||||||
| 03 | mögen, insgesammt Erscheinung, mithin auch ein Quantum ist. | ||||||
| 04 | Wenn wir aber etwas nicht allein groß, sondern schlechthin, absolut, | ||||||
| 05 | in aller Absicht (über alle Vergleichung) groß, d. i. erhaben, nennen, | ||||||
| 06 | so sieht man bald ein: daß wir für dasselbe keinen ihm angemessenen Maßstab | ||||||
| 07 | außer ihm, sondern bloß in ihm zu suchen verstatten. Es ist eine | ||||||
| 08 | Größe, die bloß sich selber gleich ist. Daß das Erhabene also nicht in | ||||||
| 09 | den Dingen der Natur, sondern allein in unsern Ideen zu suchen sei, folgt | ||||||
| 10 | hieraus; in welchen es aber liege, muß für die Deduction aufbehalten | ||||||
| 11 | werden. | ||||||
| 12 | Die obige Erklärung kann auch so ausgedrückt werden: Erhaben | ||||||
| 13 | ist das, mit welchem in Vergleichung alles andere klein ist. Hier | ||||||
| 14 | sieht man leicht: daß nichts in der Natur gegeben werden könne, so groß | ||||||
| 15 | als es auch von uns beurtheilt werde, was nicht, in einem andern Verhältnisse | ||||||
| 16 | betrachtet, bis zum Unendlich=Kleinen abgewürdigt werden | ||||||
| 17 | könnte; und umgekehrt nichts so klein, was sich nicht in Vergleichung mit | ||||||
| 18 | noch kleinern Maßstäben für unsere Einbildungskraft bis zu einer Weltgröße | ||||||
| 19 | erweitern ließe. Die Teleskope haben uns die erstere, die Mikroskope | ||||||
| 20 | die letztere Bemerkung zu machen reichlichen Stoff an die Hand gegeben. | ||||||
| 21 | Nichts also, was Gegenstand der Sinnen sein kann, ist, auf diesen | ||||||
| 22 | Fuß betrachtet, erhaben zu nennen. Aber eben darum, daß in unserer | ||||||
| 23 | Einbildungskraft ein Bestreben zum Fortschritte ins Unendliche, in unserer | ||||||
| 24 | Vernunft aber ein Anspruch auf absolute Totalität als auf eine | ||||||
| 25 | reelle Idee liegt: ist selbst jene Unangemessenheit unseres Vermögens der | ||||||
| 26 | Größenschätzung der Dinge der Sinnenwelt für diese Idee die Erweckung | ||||||
| 27 | des Gefühls eines übersinnlichen Vermögens in uns; und der Gebrauch, | ||||||
| 28 | den die Urtheilskraft von gewissen Gegenständen zum Behuf des letzteren | ||||||
| 29 | (Gefühls) natürlicher Weise macht, nicht aber der Gegenstand der Sinne | ||||||
| 30 | ist schlechthin groß, gegen ihn aber jeder andere Gebrauch klein. Mithin | ||||||
| 31 | ist die Geistesstimmung durch eine gewisse die reflectirende Urtheilskraft | ||||||
| 32 | beschäftigende Vorstellung, nicht aber das Object erhaben zu nennen. | ||||||
| 33 | Wir können also zu den vorigen Formeln der Erklärung des Erhabenen | ||||||
| 34 | noch diese hinzuthun: Erhaben ist, was auch nur denken zu | ||||||
| 35 | können ein Vermögen des Gemüths beweiset, das jeden Maßstab | ||||||
| 36 | der Sinne übertrifft. | ||||||
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