Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 322 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | O glücklich, wenn sie unter dem Tumult der Elemente und den | ||||||
| 02 | Trümmern der Natur jederzeit auf eine Höhe gesetzt ist, von da sie | ||||||
| 03 | die Verheerungen, die die Hinfälligkeit den Dingen der Welt verursacht, | ||||||
| 04 | gleichsam unter ihren Füßen kann vorbei rauschen sehen! Eine Glückseligkeit, | ||||||
| 05 | welche die Vernunft nicht einmal zu erwünschen sich erkühnen | ||||||
| 06 | darf, lehrt uns die Offenbarung mit Überzeugung hoffen. Wenn dann | ||||||
| 07 | die Fesseln, welche uns an die Eitelkeit der Creaturen geknüpft halten, | ||||||
| 08 | in dem Augenblicke, welcher zu der Verwandlung unsers Wesens bestimmt | ||||||
| 09 | worden, abgefallen sind, so wird der unsterbliche Geist, von der | ||||||
| 10 | Abhängigkeit der endlichen Dinge befreiet, in der Gemeinschaft mit dem | ||||||
| 11 | unendlichen Wesen den Genuß der wahren Glückseligkeit finden. Die | ||||||
| 12 | ganze Natur, welche eine allgemeine harmonische Beziehung zu dem | ||||||
| 13 | Wohlgefallen der Gottheit hat, kann diejenige vernünftige Creatur nicht | ||||||
| 14 | anders als mit immerwährender Zufriedenheit erfüllen, die sich mit | ||||||
| 15 | dieser Urquelle aller Vollkommenheit vereint befindet. Die Natur, von | ||||||
| 16 | diesem Mittelpunkte aus gesehen, wird von allen Seiten lauter Sicherheit, | ||||||
| 17 | lauter Wohlanständigkeit zeigen. Die veränderlichen Scenen der | ||||||
| 18 | Natur vermögen nicht, den Ruhestand der Glückseligkeit eines Geistes | ||||||
| 19 | zu verrücken, der einmal zu solcher Höhe erhoben ist. Indem er diesen | ||||||
| 20 | Zustand mit einer süßen Hoffnung schon zum voraus kostet, kann er | ||||||
| 21 | seinen Mund in denjenigen Lobgesängen üben, davon dereinst alle | ||||||
| 22 | Ewigkeiten erschallen sollen. | ||||||
| 23 | Wenn dereinst der Bau der Welt in sein Nichts zurück geeilet | ||||||
| 24 | Und sich deiner Hände Werk nicht durch Tag und Nacht mehr theilet: | ||||||
| 25 | Dann soll mein gerührt Gemüthe sich, durch dich gestärkt, bemühn, | ||||||
| 26 | In Verehrung deiner Allmacht stets vor deinen Thron zu ziehn; | ||||||
| 27 | Mein von Dank erfüllter Mund soll durch alle Ewigkeiten | ||||||
| 28 | Dir und deiner Majestät ein unendlich Lob bereiten; | ||||||
| 29 | Ist dabei gleich kein vollkommnes: denn o Herr! so groß bist du, | ||||||
| 30 | Dich nach Würdigkeit zu loben, reicht die Ewigkeit nicht zu. | ||||||
| 31 | Addisson | ||||||
| 32 | nach Gottscheds Übersetzung. | ||||||
| [ Seite 321 ] [ Seite 323 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||