Kant: AA I, Die Frage, ob die Erde veralte, ... , Seite 210  | 
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| 01 | die keine Veränderung mehr erleiden. Diese Veränderung ist nicht | ||||||
| 02 | allein wegen der Versetzung der Schichten, davon die fruchtbarsten | ||||||
| 03 | unter den todten versenkt und begraben werden, sondern vielmehr wegen | ||||||
| 04 | der Aufhebung der nützlichen Eintheilung des festen Landes in Thäler | ||||||
| 05 | und Höhen die besorgliche Ursache ihres bevorstehenden Verderbens. | ||||||
| 06 | Wenn man die gegenwärtige Einrichtung des festen Landes ansieht, | ||||||
| 07 | so wird man mit Bewunderung eine regelmäßige Beziehung der erhabenen | ||||||
| 08 | Gegenden gegen die tiefen gewahr: daß das Erdreich in weiten | ||||||
| 09 | Strecken sich mit gemäßigtem Abhange nach dem Schlauche eines Flusses | ||||||
| 10 | neigt, der die größte Tiefe des Thals einnimmt und nach dessen Erstreckung | ||||||
| 11 | eine ebenmäßige fortgehende Abschießigkeit bis zu dem Meere | ||||||
| 12 | hin hat, darin solcher sein Wasser ausleert. Diese wohlgeordnete Verfassung, | ||||||
| 13 | die das feste Land von dem Überflusse des Regenwassers befreiet, | ||||||
| 14 | beruht sehr auf den Grad ihrer Größe, damit weder ein gar zu | ||||||
| 15 | großer Abfall das Wasser, welches zur Fruchtbarkeit angewandt werden | ||||||
| 16 | soll, zu schnell abführe, noch eine gar zu gringe Abschießigkeit es zum | ||||||
| 17 | Schaden derselben zu lange darauf ruhen und sich häufen lasse. Allein | ||||||
| 18 | diese vortheilhafte Bestimmung leidet durch die stets währende Wirkung | ||||||
| 19 | des Regens beständigen Abbruch: indem derselbe die Höhen vermindert | ||||||
| 20 | und dadurch, daß er die abgerissene Materien in die niedrigen Gegenden | ||||||
| 21 | führt, die Gestalt der Erden allmählig der Beschaffenheit nähert, die | ||||||
| 22 | sie haben würde, wenn alle Ungleichheiten der Oberfläche verschwunden | ||||||
| 23 | wären, und das ohne Abzug sich häufende Wasser, das der Regen über | ||||||
| 24 | den Erdboden führt, den Schoß derselben durchweichen und die bewohnbare | ||||||
| 25 | Verfassung zernichten würde. Ich habe schon angemerkt: daß die | ||||||
| 26 | Vollendung des Veraltens der Erde, ob sie gleich in langen Zeiten | ||||||
| 27 | kaum merklich werden kann, dennoch ein gegründeter und wissenswürdiger | ||||||
| 28 | Vorwurf der philosophischen Betrachtung sei, darin das Gringe | ||||||
| 29 | nicht mehr gring oder nichtswürdig ist, welches durch unaufhörliche | ||||||
| 30 | Summirungen eine wichtige Veränderung beständig näher herbeiführt, | ||||||
| 31 | und in der das Verderben nichts anders, als Zeit braucht, um vollständig | ||||||
| 32 | zu werden. Man kann indessen nicht sagen: daß die Schritte | ||||||
| 33 | zu dieser Veränderung ganz und gar nicht zu merken wären. Wenn | ||||||
| 34 | die Höhen beständig abnehmen, so wird der Zufluß des Wassers in | ||||||
| 35 | die niedere Gegenden, welcher Landseen oder auch Ströme unterhält, | ||||||
| 36 | immer vermindert werden. Diese werden an der Abnahme ihrer Größe | ||||||
| 37 | die Zeugnisse solcher Veränderung mit sich führen. In der That wird | ||||||
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