Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 007 |
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Text (Kant):
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| 01 | Vorrede. |
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| 02 | Nihil magis prästandum est, quam ne pecorum ritu sequamur antecedentium | ||||||
| 03 | gregem, pergentes, non qua eundum est, sed qua itur. | ||||||
| 04 | Seneca de vita beata. Cap. I | ||||||
| 05 | I |
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| 06 | Ich glaube, ich habe Ursache von dem Urtheile der Welt, dem | ||||||
| 07 | ich diese Blätter überliefere, eine so gute Meinung zu fassen, daß diejenige | ||||||
| 08 | Freiheit, die ich mir herausnehme, großen Männern zu widersprechen, | ||||||
| 09 | mir für kein Verbrechen werde ausgelegt werden. Es war | ||||||
| 10 | eine Zeit, da man bei einem solchen Unterfangen viel zu befürchten | ||||||
| 11 | hatte, allein ich bilde mir ein, diese Zeit sei nunmehr vorbei, und der | ||||||
| 12 | menschliche Verstand habe sich schon der Fesseln glücklich entschlagen, | ||||||
| 13 | die ihm Unwissenheit und Bewunderung ehemals angelegt hatten. | ||||||
| 14 | Nunmehr kann man es kühnlich wagen das Ansehen der Newtons | ||||||
| 15 | und Leibnize für nichts zu achten, wenn es sich der Entdeckung der | ||||||
| 16 | Wahrheit entgegen setzen sollte, und keinen andern Überredungen als | ||||||
| 17 | dem Zuge des Verstandes zu gehorchen. | ||||||
| 18 | II |
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| 19 | Wenn ich es unternehme die Gedanken eines Herrn von Leibniz, | ||||||
| 20 | Wolffen, Hermanns, Bernoulli, Bülfingers und anderer zu | ||||||
| 21 | verwerfen und den meinigen den Vorzug einzuräumen, so wollte ich | ||||||
| 22 | auch nicht gerne schlechtere Richter als dieselbe haben, denn ich weiß, | ||||||
| 23 | ihr Urtheil, wenn es meine Meinungen verwürfe, würde die Absicht | ||||||
| 24 | derselben doch nicht verdammen. Man kann diesen Männern kein | ||||||
| 25 | vortrefflicher Lob geben, als daß man alle Meinungen, ohne ihre eigene | ||||||
| 26 | davon auszunehmen, vor ihnen ungescheut tadeln dürfe. Eine Mäßigung | ||||||
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